Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 29. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. (29)

22 Zehntes Buch. Erstes Capitel. 
die Pläne Carls des Kühnen oder die Verabredungen, die ein und 
das andere Mal zwischen Heinrich VIII und Carl V genommen wor- 
den sind, erinnern, die oft schon gescheitert waren, dem Lord Stair 
aber auch jetzt noch, obgleich Frankreich eben nach dieser Seite hin 
so ungemein verstärkt worden, ausführbar schienen. Er selbst dachte 
an der Spitze einer englisch-deutschen Armee von Norden her auf 
Paris loszugehen; der Kaiser sollte in seinem und des Reiches Namen 
den Franzosen den Krieg erklären; die österreichischen Truppen wür- 
den dann vom Oberrhein aus eine andere große Invasion unter- 
nehmen. Stair sprach die Meinung aus, wenn der König von 
Preußen dazu beitragen wolle, so würde Frankreich, plötzlich auf jeder 
Seite und von allen Fürsten von Europa bedroht, gar nicht wagen 
zu widerstehen. Welches Interesse aber sollte den König von Preußen, 
nachdem er seinen Frieden geschlossen, zu neuen Anstrengungen ver- 
mögen? Einmal die eigene Sicherheit vor der französischen Ueber- 
macht, die Dankbarkeit gegen die Vermittelung von England, über- 
dies aber noch eine neue große Aussicht. Lord Stair ließ Friedrich I 
wissen, wenn er sich nach der polnischen Seite hin zu vergrößern 
denke, so habe er jetzt weder von England noch von Rußland Wider- 
spruch zu fürchten ?#). 
Alles zusammengefaßt, sieht man eine neue Welt: die spanischen 
Bourbonen aus Italien verjagt und zum Frieden mit England ge- 
nöthigt, von Frankreich getrennt. In Deutschland einen Kaiser, mit 
seinem eigenen, dem Kaiserthum gewidmeten Besitz; alle deutschen 
Fürsten unter ihm zum Kampfe gegen Frankreich vereinigt. „Oester- 
reich für alle Verluste, die es früher und zuletzt erlitten, durch den 
Besitz von Neapel, Baiern und die erweiterten Niederlande vollständig 
entschädigt. Und da es nun darauf abgesehen war, diesem Hause 
auch das Kaiserthum wiederzuverschaffen, so würden die den Franzosen 
entrissenen Landschaften — nur mit Ausnahme dessen, was Baiern 
als eine Entschädigung für seine Abtretungen erhalten sollte — zu- 
letzt an Oesterreich gefallen sein; indessen hätte Friedrich einen seiner 
Jugendgedanken ausführen und das polnische Preußen sich aneignen 
können. Lord Stair ist wohl der erste gewesen, in dessen Kopfe sich 
die Idee eines allgemeinen Kampfes gegen Frankreich mit einer Ab- 
1) Que si V. M. vouloit sagrandir du cöté de la Prusse polonaise 
le roi d’Angleterre n'étoit pas dans des liaisons si étroites avec la Po- 
logne pour s'y opposer et dans les circonstances Drésentes on n’auroit 
Das à craindre duc la Russie y mit obstacle.
	        
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