214 Bie Gesterreichisch-Augarische Monarchie. (November 30.)
Lösung nicht gefunden worden; er glaube nicht, daß die Delegierten von
ihm eine Erörterung dieser schwierigen Frage erwarten.
„Zwei Punkte möchte ich aber doch hervorheben. Der Herr Bericht-
erstatter hat schon in dieser Richtung einige dieser Ansichten gestreift, ich
möchte aber jene zwei Punkte als diejenigen hervorheben, die die Regierung
vor Augen hat. Das eine ist, daß sich die Regierung vollkommen bewußt
ist der enormen Ueberzahl der katholischen Bevölkerung in unserm Vater-
lande und sich daher vor Augen hält, daß die Gefühle und berechtigten
Empfindungen und Wünsche nach Möglichkeit berücksichtigt werden sollen.
Die Regierung hat auch nur den Wunsch, es möge die Stellung des heiligen
Vaters eine solche sein, welche die völlige Unabhängigkeit, wie sie dem Haupte
der katholischen Kirche gebührt und für ihn notwendig ist, in sich schließt,
sie möge eine solche sein, die das Papsttum und den Pahyst selbst befriedigt,
denn erst wenn die Zufriedenheit auf dieser Seite auch dauernd ist, wird
der Friede, wie wir ihn wünschen, zwischen dem Papsttum und dem italie-
nischen Königreiche hergestellt sein. Das sind unsre wärmsten Wünsche, und
wenn wir etwas dazu beitragen können, so werden wir nie verfehlen, in
dieser Richtung zu wirken nach unserm besten Können. Der zweite Punkt,
den ich hervorheben wollte, ist — und ich glaube, ich werde nirgends auf
Widerspruch stoßen — daß es der allgemeine Wunsch der Bevölkerung ist,
mit der italienischen Nation in Frieden und Freundschaft zu leben. Wir
wollen mit diesem Nachbar in gut nachbarlichen, in guten Beziehungen in
jeder Richtung leben, und wir gehen noch weiter, denn wir sind mit ihm
in ein politisches Bündnis getreten, welches mit eine der Grundlagen unfrer
Politik ist. Nun, meine Herren, ich glaube, der Herr Delegierte Zallinger
muß sich das doch auch gesagt haben. Wie können wir also mit kühner
Hand, wie er es gethan hat, in dieses Problem hineingreifen, ohne die Ge-
fühle der italienischen Nation zu verletzen, die wir zu verletzen gar keinen
Anlaß und auch keinen Wunsch haben. Eine Konklusion geht aus der Her-
vorhebung dieser zwei Punkte nicht hervor, weil, wie ich eben im Anfange
gesagt habe, dieses Problem praktisch zu lösen vorläufig noch niemand die
Mittel und Wege gefunden hat.“
30. November. (Pest.) Da sich gegen die Aeußerungen des
Grafen Kalnoky am 27. in Italien eine schwer verständliche Ent-
rüstung bemerkbar macht und sogar die Auslegung auftaucht, die
Worte des Grafen Kalnoky hätten die Bedeutung, daß Oester-
reich, falls Italien sich vom Dreibunde losmachen wollte, die rö-
mische Frage wieder auf den Plan bringen würde, so bringt der
„Pester Lloyd“ folgenden Kommentar zu der Rede:
Die Papstfrage ist nicht identisch mit der römischen Frage, be-
treffend den Besitz Roms und die weltliche Herrschaft des Papstes; letztere
Frage hat seit 21 Jahren zu existieren aufgehört. Niemand, am wenigsten
Oesterreich-Ungarn, hat das Recht oder die Absicht, den Besitz Roms den
Italienern zu stören. Da der Papst irgendwo wohnen muß, besteht die
Papstfrage in dem Problem, die Freiheit und Unabhängigkeit des Papstes
mit der Souveränetät jenes Staates, wo er wohnt, sei dies in Rom oder
in einem anderen Staat, in Einklang zu bringen. Diese Frage ist noch
nicht endgültig gelöst, allein auch in diesem Sinne ist die Papstfrage keine
internationale; solange der Papst in Rom residiert, ist diese Frage aus-
schließlich durch Italien zu regeln. Wenn das Beisammensein des Papstes
mit dem König von Italien in Rom unmöglich würde, müßten nicht die