— 369 —
§. 63.
Der Anrufung ist Folge zu geben, wenn sie von beiden Theilen erfolgt
und die betheiligten Arbeiter und Arbeitgeber — letztere sofern ihre Zahl mehr
als drei beträgt — Vertreter bestellen, welche mit der Verhandlung vor dem
Einigungsamte beauftragt werden.
Als Vertreter können nur Betheiligte bestellt werden, welche das fünfund-
zwanzigste Lebensjahr vollendet haben, sich im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte
befinden und nicht durch gerichtliche Anordnung in der Verfügung über ihr Ver-
mögen beschränkt sind.
Soweit Arbeiter in diesem Alter nicht, oder nicht in genügender Anzahl
vorhanden sind, können jüngere Vertreter zugelassen werden.
Die Zahl der Vertreter jedes Theiles soll in der Regel nicht mehr als
drei betragen. Das Einigungsamt kann eine größere Zahl von Vertretern zulassen.
Ob die Vertreter für genügend legitimirt zu erachten sind, entscheidet das
Einigungsamt nach freiem Ermessen.
§. 64.
Erfolgt die Anrufung nur von einer Seite, so soll der Vorsitzende dem
anderen Theile oder dessen Stellvertretern oder Beauftragten Kenntniß geben und
zugleich nach Möglichkeit dahin wirken, daß auch dieser Theil sich zur Anrufung
des Einigungsamts bereit findet.
§. 65.
Auch in anderen Fällen soll der Vorsitzende bei Streitigkeiten der im §. 62
bezeichneten Art auf die Anrufung des Einigungsamts hinzuwirken suchen und
dieselbe den Betheiligten bei geeigneter Veranlassung nahe legen.
§. 66.
Der Vorsitzende ist befugt, zur Einleitung der Verhandlung und in deren
Verlauf an den Streitigkeiten betheiligte Personen vorzuladen und zu vernehmen.
Er kann hierbei, wenn das Einigungsamt gemäß §. 63 oder §. 64 angerufen
worden ist, für den Fall des Nichterscheinens eine Geldstrafe bis zu einhundert
Mark androhen. Gegen die Festsetzung der Strafe findet Beschwerde nach den
Bestimmungen der Civilprozeßordnung statt.
Eine Vertretung betheiligter Personen durch deren allgemeine Stellvertreter
(§. 45 der Gewerbeordnung), Prokuristen oder Betriebsleiter ist zulässig.
§. 67.
Das Gewerbegericht, welches als Einigungsamt thätig wird, besteht neben
dem Vorsitzenden aus Vertrauensmännern der Arbeitgeber und der Arbeiter in
gleicher Zahl.
Reichs-Gesetzbl. 1901. 70