Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

Frankreich. (März 9.) 391 
Ausdruck des Vertrauecns. Abg. Bender schlägt demgegenüber folgende 
Tagesordnung vor: Die Kammer nimmt von den Erklärungen der 
Regierung Kenntnis und rechnet auf die Entlassung aller nicht un- 
bedingt an der Front notwendigen Ackerbauer, sowie auf dringliche 
Maßregelu, um durch eine plangemäße Organisation die Volksernährung 
sicherzustellen. 
Minister Herriot erklärt, daß die Regierung die Tagesordnung 
Bender annehme. Abg. Bender begründet hierauf seine Tagesordnung. 
Sie entspreche den Wünschen der zuständigen Kommissionen in bezug auf 
bessere Organisation des Getreidebaues. 
Abg. Klotz widerspricht als Vorsitzender der Budgetkommission. Alle 
Bemühungen der Kommissionen, die Regierung zu einer methodischen Arbeit 
zu bewegen und die Mitarbeit der Kommissionen anzunehmen, seien er- 
folglos geblieben. K. verliest sodann den Brief, den er am 30. März 1916 
an Briand gerichtet hat, um angesichts des U-Bootkrieges auf die Dringlich- 
keit von Gegenmaßnahmen hinzuweisen. Darauf habe die Regierung nur 
zögernd und unvollkommen Bescheid gegeben. Erst am 7. Februar habe 
sch Minister Thomas vor der Budgetkommission und der Kammer über 
die Wirtschaftsfragen geäußert. K. bedauert, unter diesen Umständen der 
Regierung kein Vertrauen schenken zu können. 
Ministerpräsident Briand erwidert, es sei leicht, die Regierung an- 
zugreifen, wie dies Abg. Klotz getan habe, und so Erörterungen inner- 
politischer Art herbeizuführen. Ob es sich um die Bewaffnung oder die 
Verproviantierung handle, immer werde die Regierung angegriffen. Dies 
sei ungerecht und den Tatsachen keineswegs entsprechend. B. fährt fort: 
Welches auch die Schwierigkeiten sein mögen, unsere Armee ist in Ueber- 
fluß mit allem versehen. Die Kammer braucht nicht zufrieden zu sein, ich 
aber muß mit aller Klarheit sagen: Aus Zweideutigkeiten geht einzig eine 
vergiftete Atmosphäre hervor, die der Regierung keine Freiheit zur Durch- 
führung ihrer Aufgaben läßt. Die Regierung will Einstimmigkeit und 
guten Willen aller in einem Augenblicke haben, wo es weder Mehrheit 
noch Minderheit geben sollte. Ist die Kammer der Ansicht, daß die Re- 
gierung nicht am Platze sei, so soll sie es sagen, und die jetzige Regierung 
wird einer anderen Platz machen. 
In der Abstimmung lehnt die Kammer zunächst mit 256 gegen 
180 Stimmen die Priorität zugunsten der Tagesordnung David ab. Bei 
der Abstimmung über die Tagesordnung Bender ist das Haus nicht be- 
schlußfähig, so daß eine neue Sitzung anberaumt werden muß. Die Kammer 
nimmt sodann die Tagesordnung Bender mit 294 gegen 1 Stimme an, 
da sich die Opposition der Abstimmung enthält. Die Mehrheit der Regie- 
rung (bei der ersten Abstimmung) ist die schwächste seit der Bildung des 
Kabinetts. Die Pariser Blätter erklären, die Debatten hätten durch das Ein- 
greifen von Klotz und Briand einen ganz politischen Charakter angenommen. 
Selbst die regierungstreue Presse gibt zu, daß die Lage des Kabinetts 
Briand gefährdet ist. 
9. März. Der Verwaltungsausschuß der Soz. Partei beschließt, 
den für den 15. März geplanten Sozialistenkongreß der Entente- 
staaten auf unbestimmte Zeit zu verschieben. 
Der Hauptgrund für die Vertagung ist die Weigerung der engl. 
Arbeiterpartei, die in einem Aufruf im „Temps“ erklärt, der Kon- 
greß würde nur den Chauvinismus in Deutschland stärken und der edlen 
Sache der Verbündeten schaden. 
 
	        
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