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errangen. Höher standen die einzeln lebenden eigentlichen
Hetären, meistens Freigelassene, welche die Flöten- und
Zitherspielerinnen zu Hausopfern und Symposien, sowie
Tänzerinnen zu letzteren lieferten, — am höchsten aber die
wenig zahlreichen Hetären, welche sich durch Geist auszeichneten
und ohne sich Jedem hinzugeben, eine hervorragende Rolle
spielten, wie eine Phryne, Thais, Lais, Lamia u. s. w., nicht
aber die viel verleumdete Aspasia, welche von der Zugehörig-
keit zu dieser Klasse durchaus freizusprechen ist. Die losen
Mäuler der Komödienschreiber und der persönlichen Gegner
ihres Gatten, des großen Perikles haben jene ungerechte
Verleumdung in die Welt gesetzt. Nicht eine einzige als
wissenschaftliche Quelle zu betrachtende Angabe kann Aspasia
im geringsten sittlich verdächtigen. Drängten sich ja sogar
die in ihrem Gynaikeion so streng eingezogen lebenden
athenischen Frauen, die Bekanntschaft der weisen Milesierin
zu machen! Ihre fremde Herkunft, ihre Verbindung mit
dem größten hellenischen Staatsmanne Perikles und ihr
Einbruch in die orientalische Absperrung der Geschlechter
waren ihre Verbrechen in den Augen des süßen Pöbels von
Athen. Nur durch ungezwungene Bewegung in Männer-
und Frauengesellschaft konnte sie die Lehrerin des Sokrates,
die Beschützerin des Anaxagoras, die Freundin der größten
Künstler ihrer Zeit werden, und die Proben, die wir von
ihrer Dialektik besitzen, sind schlagende Beweise für eine
würdige und edle Auffassung aller Lebensverhältnisse. Ihre
Che mit dem geistig größten und sittlich reinsten Athener
war ein Muster von Innigkeit und Glück und blieb auch
ihre einzige, da ihre angebliche zweite Ehe mit dem schon
ein Jahr nach Perikles gestorbenen Lysikles, der lediglich ihr
Sachwalter war, ebenso schlecht begründet ist wie die erwähnte
Verleumdung. In das hellste Licht aber werden die Charaktere
des Perikles und der Aspasia gesetzt durch die von ihm
bewirkte Aufhebung des von priesterlicher Seite betriebenen