Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

222 Das Staatsbürgerrecht. 
(S. 58.) 
gleichgültig, ob Privatpersonen oder der Staat, die Kirche, Gemeinden beteiligt sind, aus.1 
Ihren materiellen Inhalt gewinnen demnach diese Paragraphen heute durch die Vorschriften 
des B. G. B., §§. 903— 1011 über Eigentum, und §§. 1012— 1203 über Rechte 
an fremden Grundstücken, dazu Art. 59, 63, 64, 197 des Einführungsgesetzes. Der 
§. 2, Abs. 1 des Gesetzes bestimmt dann ferner, „daß die Entziehung und dauernde 
Beschränkung des Grundeigentums auf Grund königlicher Verordnung erfolgen 
kann, welche den Unternehmer und das Unternehmen, zu dem das Grundeigentum in 
Anspruch genommen wird, bezeichnet“. Die königliche Verordnung, welche selbstwer- 
ständlich zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung eines Ministers nach Verf. Urk., Art. 44, 
bedarf, muß, wie der Abs. 2 des 8. 2 des Gesetzes bestimmt, durch das Amtsblatt der- 
jenigen Regierung, in deren Bezirk das Unternehmen ausgeführt werden soll, bekannt 
gemacht werden. Von dem Grundsatze, daß die Verleihung des Enteignungsrechtes 
durch königliche Verordnung zu erfolgen habe, macht indes das Gesetz v. 11. Juni 1874 
einzelne Ausnahmen, 
indem für gewisse Enteignungen im Gesetze selbst — in anderen 
  
1 Die ältere Theorie, an der bedentende Schrift- 
steller sowie das Reichsgericht festhalten, kon- 
struierte die Enteignung als Zwangskauf, was 
für den Eigentumsübergang und andere Rechts- 
folgen von Bedeutung ist; s. dazu G. Meyer, 
Verw. R., I. S. 285, N. 11. Auch Eger, 1, 
26 ff., bes. S. 32, hält am „notwendigen Kaufe“ 
fest; vgl. dazu auch über die aus §. 42 sich er- 
gebenden Gesichtspunkte, II, S. 452 ff. und die 
hier zitierten Entsch. des R. Über die „Rechte 
am Grundeigentum“ (§. 6) Eger, 1, S. 105 ff. 
Die beste Darstellung der zivil= und öffentlich- 
rechtlichen Theorien über Wesen und Inhalt des 
fubjektiven Enteignungsrechts Layer, a. a. O., 
S. 318 ff. 
2 Eger, 1I, S. 36 ff. Bezüglich der Frage 
der Anwendung des allgemeinen Prinzips des 
Gesetzes auf die einzelnen Fälle kam bei den Be- 
ratungen Über dasselbe in Erwägung, ob die 
Anordnung jeder einzelnen Expropriation durch 
ein Spezialgesetz, oder ob dieselbe durch Entschei- 
dung eines hervorragenden Organs des Staates 
über die Zulässigkeit der Expropriation im ein- 
zelnen Falle erfolgen solle, oder endlich, ob durch 
das Gesetz allgemeine Kategorien der Zulässigkeit 
der Enteignung aufßzustellen seien. Die erstge- 
dachte Lösung der Frage, nämlich daß in jedem 
einzelnen Falle ein Spezialgesetz zu fordern sei, 
hat bei der Beratung nur wenige Verteidiger ge- 
funden; nur vereinzelt kommt dieses System in 
Deutschland vor (G. Meyer bei Stengel, I, 
S. 356), entbehrt jedoch nicht des besonderen 
Interesses für die hart umstrittene Lehre von der 
Gesengebung ale charakteristisches Zeugnis dafür, 
das zum Begriffe des Gesetzes weder ein „Nechts- 
satz", noch die „Allgemeinheit“ der Vorschrift ge- 
hört (s. hierüber unten die Lehre von der Gesetz- 
gebung). Auch von dem Grundsatze, durch das 
Gesetz bestimmte Kategorien von Unternehmungen 
aufzustellen, ist Abstand genommen worden, weil 
angenommen wurde, daß es nicht wohl möglich 
sei, im voraus alle Fälle zu erfassen, wo im 
Interesse des Staatsganzen die Anwendung des 
Expropriationsrechtes zulässig sei, und daß eine 
Kategorisierung unvermeidlicherweise eine so all- 
gemeine werden müsse, daß sie kaum einen an- 
deren praktischen Wert erlange, als die Entschei- 
dung in die Hände der unteren Behörden zu 
legen, und weil sie überdies für den Grund- 
  
eigentümer die Gefahr biete, daß man aus der 
Existenz bestimmter Kategorien ein Recht zur Ex- 
propriation herleiten könne, was bis jetzt nicht 
existiere. Es blieb daher nur diejenige Lösung 
der Frage übrig, wonach das Gesetz ein bestimmtes 
Organ im Staate zu bezeichnen hat, welchem im 
einzelnen Falle die Entscheidung über die An- 
wendung der Expropriation zu überlassen sei. Dies 
war überdies bereits in dem größten Teile des 
preußischen Staates, nämlich in dem Rechtsgebiete 
des Allgemeinen Landrechts, der Fall gewesen, in- 
dem der §. 10 des A. L. R., I, 11 bestimmt, 
„daß die Frage, ob der Fall der Notwendigkeit 
des Verkaufs zum gemeinen Wohle vorhanden 
sei, der Beurteilung und Entscheidung des Staats- 
oberhauptes vorbehalten bleibe“. Diese Bestim- 
mung blieb für das landrechtliche Rechtsgebiet 
auch nach Erlaß der Verf. Urk. insoweit in 
Geltung, als nicht die Entscheidung über die ge- 
dachte Frage für gewisse Fälle durch besondere 
gesetzliche Bestimmungen auf Staatsbehörden über- 
tragen worden war (z. B. in Ansehung der Ex- 
propriationen zu Eisenbahnanlagen zufolge 8. 8 
des G. v. 3. Nov. 1838 und in betreff der Fälle 
der §§. 135—142 des allgem. Berggesetzes v. 
24. Juni 1865). Einen allgemeinen Überblick 
über die grundsätzliche Verschiedenheit der deutschen 
Harnzukargeseugebungen in diesem Punkte gibt 
G. Meyer bei Stengel, I, S. 356. 
„s Über das frühere Verfahren bezüglich der 
Bekanntmachung solcher Expropriationserlasse vgl. 
das Zirk. Reskr. der M. d. Inn. und der Fin. v. 
9. März 1848 (M. Bl. d. i. Verw. 1818, S. 132). 
Das G. v. 10. April 1872 (G. S., S. 357) 
bestimmte, daß Verordnungen, welche die Ver- 
leihung des Erxpropriationsrechtes betreffen, 
nicht durch die Gesetgebung, sondern nur durch 
die Amtsblätter zu publizieren seien, daß jedoch 
eine Anzeige hiervon auch in die Gesetzsammlung 
aufzunehmen sei (§5. 5); die Ansicht, daß es in- 
solge des Abs. 2 des §. 2 des G. v. 11. Juni 
1874 einer solchen Anzeige nicht mehr bedürfe 
(uvgl. Dalcke im Kommentar zum G. v. 11. Juni 
1874, Anum. zum §. 2), ist durch das Reskr. des 
Min. für H., G. u. öffentl. Arbeiten v. 5. März 1876 
(M. Bl. d. i. Verw. 1876, S. 43) zurückgewiesen 
worden, wie denn auch die Praxis konsequent an 
der Mirteilung durch die G. S. festhält, vgl. z. B. 
G. S. 1903, S. 200. Ebenso Eger, I, S. 55 f.
	        
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