Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

44 Die Gesetzgebung. (§. 115.) 
II. Jedes Gesetz erhält seine rechtliche Wirkung, die Gesetzeskraft, erst dadurch, daß 
es in der vom Gesetze vorgeschriebenen Form bekannt gemacht wird. 1 Es ist also, um 
die Zwangsverbindlichkeit der Gesetze und Verordnungen für die Staatsbürger zu be- 
gründen, nicht hinreichend, daß sie materiell und formell gültig zustande gekommen sind, 
sondern es muß auch die Verkündigung (Publikation) hinzugetreten sein. Vorher 
ist ihr — wenn auch bekannt gewordener — Inhalt nicht vorhanden, sondern erst die 
amtliche Bekanntmachung macht sie rechtsverbindlich, so daß nunmehr niemand mehr mit 
der Unkenntnis des Gesetzes sich entschuldigen kann. 
a) Die Publikation der Gesetze steht nur dem Könige zus, welcher dieselbe befiehlt 
und, wenn erforderlich, auch die zur Ausführung der Gesetze nötigen Verordnungen er- 
läßt. Allemal erfordern aber der Befehl der Verkündigung wie das Gesetz und die Aus- 
führungsverordnung selbst zu ihrer Gültigkeit die Gegenzeichnung wenigstens eines Mi- 
nisters, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt.“" 
b) Bei jedem im Wege der ordentlichen Gesetzgebung (Art. 62) zustande gekommenen 
  
bestreitet die Richtigkeit meiner Ansicht, indem 
er deduziert, daß meine Berufung auf den Grund- 
satz der Diskontinnität der einzelnen Sitzungs- 
perioden zu weit gehe; denn die Diskontinuität 
bedeute nicht, daß dadurch fertige, zustande ge- 
kommene Beschlüsse der Kammer annulliert 
werden. Am weitesten geht Zöpfl (Grundsätze 
des gem. D. St. R., 5. Aufl., Bd. II, S. 326), 
welcher sogar die Berechtigung des Thronfolgers 
behauptet, die unter seinem Vorgänger von den 
Kammern bewilligten Gesetze jederzeit zu sanktio- 
nieren und zu publizieren, ohne daß eine nochmalige 
Beratung und Zustimmung der Kammern er- 
forderlich wäre, wenn nur der Regierungsvor- 
gänger von seinem Veto noch nicht ausdrücklichen 
Gebrauch gemacht habe. Dagegen hat Laband 
(St. R. des D. Reiches, Bd. II, §. 55) sich für 
die Richtigkeit meiner Ansicht ausgesprochen, in- 
dem er mit mir darauf hinweist, daß auch die 
Reichsregierung die Richtigkeit des von mir ver- 
teidigten Prinzips ausdrücklich anerkannt habe. 
In den Motiven der beiden in der ersten Session 
des Reichstages von 1871 und in der zweiten 
Session desselben Jahres nochmals unverändert 
vorgelegten, vom Reichstage angenommenen Ge- 
setzentwürfe über das Postwesen und über das 
Posttaxwesen des D. Reiches wird nämlich aner- 
kannt, „daß, weil die Verkündigung der beiden 
gedachten Gesetzentwürfe, ungeachtet des vorhan- 
denen Einverständnisses der gesetzgebenden Fak- 
toren, nicht vor Beginn der neuen Session des 
Reichstages zur Publikation gelangt sei, es an- 
gemessen erschienen sei, dieselben in der Fassung, 
wie sie aus der dritten Lesung des Reichstages 
hervorgegangen, anderweit wieder vorzulegen“. 
Richtig ist allerdings, wie ich bereits früher selbst 
hervorgehoben habe (vgl. 3. Aufl. dieses Werkes, 
Bd. I, Abt. 1, §. 48, S. 199 in der Note b u. 
Bd. II, Abt. 1, §. 339, S. 491, Note 8), daß 
der von mir verteidigte Grundfatz in einigen 
Fällen in der preuß. Staatspraxis nicht befolgt 
worden ist. So ist z. B. das Ges. v. 13. Dez. 
1858, betr. die Einrihtung des Salzverkaufs in 
den Hohenzollernschen Landen (G. S. 1858, 
S. 606), von den Kammern bereits in der Sitz. 
Per. 1855—56 beraten und genehmigt worden, 
die königl. Sanktion desselben aber erst am 13. Dez. 
1858 erteilt und die Publikation erst in der am 
16. Dez. 1858 ausgegebenen Nr. 54 der G. S. 
  
vom Jahre 1858 bewirkt worden. Ferner ist 
das Ges. v. 11. Sept. 1865, betr. die Pensions- 
berechtigung der Gemeindeforstbeamten in der 
Rheinprovinz (G. S. 1865, S. 989), von beiden 
Kammern schon im Jahre 1861 beraten und 
genehmigt worden (vgl. Stenogr. Ber. des H. H. 
1860—61, Bd. I, S. 128—133 u. S. 323—326, 
und des A. H. 1860—61, Bd. II, S. 644—650 
u. S. 891—892), und es ist der genehmigte 
Gesetzentwurf mittels Schreibens des Präsid. des 
A. H. v. 26. April 1861 dem Staatsministerium 
überreicht, die königl. Sanktion jedoch erst unterm 
11. Sept. 1865 erteilt und die Publikation des 
Gesetzes erst unterm 9. Okt. 1865 bewirkt worden. 
Es wird indes nicht behauptet werden können, 
daß durch solche vereinzelte Fälle einer unrichtigen 
Staatspraxis derrichtige Grundsatz in Frage 
gestellt werden kann.“ — Sehr wichtig für Ent- 
scheidung der Frage waren die Vorgänge bei den 
beiden Thronwechseln d. J. 1888, wo im Sinne 
der oben mitgeteilten Ansicht von Zöpfl Gesetz- 
entwürfe, die in den Parlamenten erledigt waren, 
unbedenklich vom Thronfolger sanktioniert bzw. 
nach Reichsrecht promulgiert und publiziertwurden. 
Dierichtige Ansicht bei Jellinek, Ges. u. Verordn., 
S. 331; Schwartz, Verf. Urk., S. 203, der 
auch noch weitere Beispiele gegen das von v. Rönne 
behauptete Gewohnheitsrecht anführt. Daß die 
Frist für Sanktion und Publikation eines Gesetzes 
mit Ablauf der Legislaturperiode aufhöre, behaupten 
G. Meyer-Anschütz, S.569; v. Schulze II, S. 
23; v. Stengel, S. 170; Rosin, Pol. Verordn. 
R.2, S. 255; Bornhak?, I, S. 530; Fleisch= 
mann, Weg der Gesetzgebung, S. 60, 96 f. Die 
meisten Schriftsteller (s. G. Meyer-Anschütz, 
S. 570, Note 19) verwerfen jetzt jede Fristbestim- 
mung. So auch Laband, St. R.5 II, S. 35 f., der 
früher anderer Meinung war. Es ist übrigens 
unleugbar, daß v. Rönnes Ausführungen an 
dieser Stelle den kurz zuvor gegebenen direkt 
widersprechen. 
1 A. L. R., Einl., §. 10; Verf. Urk., Art. 106, 
Abs. 1. 
8. 12. 
2 A. L. R., Einl., 
3 Verf. Urk., Art. 45: „Er befiehlt die Ver- 
kündigung der Gesetze. * Die Publikation durch 
die Kammern würde mithin ein ungesetzlicher 
Eingriff in die Prärogative der Krone sein. 
4 Verf. Urk. Art. 44.
	        
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