Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiter Jahrgang. 1861. (2)

332 Uebersicht der Ereignisse des Fahres 1861. 
Commissäre treten sollten, um die Absichten der Regierung durchzuführen. 
Am 5. Nov. erfolgte dann die entscheidende Maßregel. F.M.L. Graf 
Moritz Palffy wurde durch kaiserl. Handschreiben zum Statthalter ven 
Ungarn ernannt, die corporative Wirksamkeit des k. Statthaltereirathes in 
Ofen suspendirt und derselbe dem Statthalter des Kaisers untergeordnet, 
die Auflösung sämmtlicher noch bestehender Comitatsausschüsse angeordnet 
und zum Schutz der Regierungsbeamten die Einsetzung von Militärgerichten 
in ganz Ungarn angeordnet. Damit waren die Dinge in Ungarn im 
Wesentlichen wieder auf dem Punkte angelangt, wo sie vor dem Erlaß 
des Patentes vom 20. Oct. 1860 gestanden hatten! 
Wie in Ungarn, so war auch in Croatien die Bemühung der 
Centralregierung, sich mit dem Landtag aber die Anerkennung der Februar- 
verfassung zu vereinbaren, gescheitert. Gleich von Anfang an war die 
Stimmung der Versammlung der Art, daß sie laut dagegen protestirte, 
als es der Ban Mitte Mai versuchen wollte, die Februarverfassung zu 
publiciren und ihn wirklich nöthigte, davon abzustehen. Die Croaten 
wollten von einer nähern Verbindung mit den Erbländern innerhalb des 
Gesammtstaats nichts wissen; selbst die hergebrachte engere Vereinigung 
mit Ungarn neu anzuknüpfen zeigten sie wenig Neigung. Ihre Blicke 
waren gierig nach dem Süden, nach den ihnen stammverwandten Theilen 
der europäischen Türkei gerichtet und kühne Hoffnungen eines füdslavischen 
nach allen Seiten selbständigen Reiches schwellten ihre Träume. 
Wie zu erwarten stand, war die Pforte aus dem Krimkriege nicht 
stärker, sondern schwächer hervorgegangen. Der kranke Mann war krank 
geblieben, die innere Auflösung ging, von Außen nicht mehr gewaltsam 
beschleunigt, vielleicht etwas langsamer, aber doch vorwärts und die Er- 
tremitäten fuhren fort, mehr und mehr dem Gesammtreiche abzusterben. 
Selbst wo das alttürkische Element, die drohende Katastrophe ahnend, in 
wildem Fanatismus aufloderte, diente es nur dazu, diese Ohnmacht zu 
verstärken. Seit den blutigen Gräueln in Syrien steckte das französische 
Occupationscorps dem schwachen Körper wie ein Pfahl im Fleische. Wie 
Rom so betrachtete der Kaiser der Franzosen auch Syrien als einen be- 
quemen Stützpunkt für weitere Combinationen wie für jede unvorherzu- 
sehende Eventualität. Fast unerwartet trat ihm hier England mit Nach- 
druck entgegen. Frankreich mußte sich, wiewohl ungern, fügen und zu 
Anfang Juni kehrten seine Truppen zurück. Wie keine andere Macht 
war England bemüht, den status quo im Orient aufrecht zu erhalten. 
Griechenland, wo eine dumpfe Gährung sich der Gemüther zu bemächtigen
	        
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