AUctbersicht der Ertignisse des Aahrts 1864. 397
lassen, daß der Kaukasus seinem Scepter vollständig unterworfen seiRußland.
und daß in demselben „kein einziger unabhängiger Volksstamm mehr
existire“. Nußland hat nach Kämpfen, die nicht nach Jahren, son-
dern bereits nach Jahrzehenten zählen, diese freien Vergvölker alle
bezwungen, aufgerieben oder aus ihrer Heimath verdrängt. Die
gewaltige Bergfeste ist definitiv in seinen Händen und der Plan
gegen die Türkei wie gegen Persien geebnet. Auch in Mittelasien
gelang es Nußland um die Mitte des Jahres seine militärische
Stellung besser als bisher zu sichern und seine Vorposten gegen
Khokand um ein erkleckliches Stück weiter vorzuschieben. Erfreulicher
als diese Ereignisse ist ein Blick auf die Gestaltung der inneren
Zustände des ungeheuren Reichs. Mil ebenso richtiger Einsicht
als mit einem entschlossenen Willen, der sich durch die Be-
schränktheit und Engherzigkeit fälschlich sogenannter conservativer
Interessen nicht beirren läßt, schreitet der Kaiser auf dem betretenen
Wege fort, die seit Jahrhunderten gebundenen Volkskräfte allmälig
zu entfesseln und so im Innern für die Zukunft des russischen Reichs
Eroberungen zu machen, die nicht nur schöner, sondern auch unend-
lich größer und dauerhafter sein werden, als alles, was sein Vater
versucht hat, um Europa zu blenden und mit einem Schein von
Macht, der die reale Unterlage oft gänzlich fehlte, auf Europa zu
drücken. Der Emancipation der Leibeigenen folgte zu Anfang des
Jahres 1864 die Einführung von Kreis= und Provinzialvertretungen
in ganz Rußland mit beschränkten aber hinreichenden Befugnissen,
um die Bevölkerung allmälig zur Theilnahme an der Verwaltung
ihrer eigenen nächsten Interessen zu erziehen. Es ist natürlich, daß
die Phantasie der öffentlichen Meinung alsbald auch von einer all-
gemeinen Landesvertretung sprach, und zumal der Adel in einer Er-
weiterung seines Einflusses auf diesem Gebiete eine Art Entschädigung
für die von ihm nach einer andern Seite hin gebrachten schweren
Opfer zu fsinden wähnte. Die Regierung denkt nicht daran und
wer eine Entwickelung der politischen Verhältnisse und freiheitlicher
Institutionen überhaupt nur auf realer Grundlage anstrebt, wird ihr
darin nur bestimmen können. Naturgemäß wird und muß es noch
lange dauern, bis Rußland in irgend welcher Form in die Reihe
der constitutionellen Staaten eintreten kann. Alles hängt davon ab,
daß es auf dem betretenen Wege allmälig aber sicher vorschreite, ohne