Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfter Jahrgang. 1864. (5)

44 
Deutschland. 
reichs und Preußens vom 5. Dezember nicht verschwunden, sondern noch erhöht 
sieht. Es ist dies in einer doppelten Beziehung der Fall, in Beziehung auf 
die Behandlung der Erbfolgesrage nämlich, und auf die Even- 
tualität einer militärischen Besetzung des Herzogthums 
Schleswig. 
„Der deutsche Bund steht, was den ersteren Punkt betrifft, dem Londoner 
Vertrage vollkommen frei gegenüber, er ist nicht durch diesen Vertrag gebun- 
den, und in unseren Augen ist nichts überflüssiger, als daß er sich diese Frei- 
heit erst ausdrücklich wahre. Niemand verlangt vom Bunde, daß er 
dem Londoner Vertrag beitrete, Niemand verkennt, daß der Bund in der Erb- 
folgefrage ganz so selbständig zu handeln habe, als ob dieser Vertrag niemals 
geschlossen worden wäre. Oesterreich und Preußen, obwohl individuell an 
demselben festhaltend, haben nicht gezögert, dies anzuerkennen. Nicht am 
Bunde ist es also, diese Mächte an ihre Bundespflicht zu erinnern, wohl aber 
können und müssen diese Mächte vom Bunde verlangen, daß 
er in der Erbfolgefrage nicht nach Willkür und um politischer Vortheile willen, 
sondern nach Recht, Gesetz und Verfassung, namentlich also nicht ohne 
Beachtung der Schranken seiner Competenz verfahre. König 
Christian IX. hat den Thron nicht kraft des Londoner Vertrages, sondern 
kraft des von seinem Vorfahren in der Regierung, dem König Friedrich VII. 
in seiner Eigenschaft als Herzog von Holstein und deutscher Bundesfürst eben 
so gut wie in seiner Eigenschaft als König von Dänemark, erlassenen und 
von den deutschen wie von dem dänischen Ministern contrasignirten Thron- 
folgegesetzes vom 31. Juli 1853 bestiegen. Der Bund hat gegen dieses 
Gesetz niemals protestirt, er hat sogar ausdrücklich durch seinen Beschluß vom 
29. Juli 1852, also zu einer Zeit, wo der Londoner Vertrag bereits geschlossen 
war, die kgl. dänische Bekanntmachung vom 28. Januar desselben Jahres ge- 
nehmigt, worin die Absicht im voraus verkündigt war, mit dem Beistande 
der Großmächte die Erhaltung der dänischen Monarchie in ihrem seitherigen 
Bestande sicherzustellen. Es kann dies den Bund zwar unstreitig nicht hin- 
dern, auch jetzt noch seine verfassungsmäßige Autorität gegenüber jenem Thron- 
folgegesetze, soweit es sich auf Holstein und Lauenburg bezieht, geltend zu 
machen und berechtigten Reclamationen gegen dasselbe, Folge zu ver- 
schaffen. Aber jene Autorität erstreckt sich nicht weiter, als sie auch gegenüber 
einer von dem Souverän irgend eines andern Bundeslandes errichteten neuen 
Successionsordnung sich erstrecken würde, und diese Reclamationen 
können nicht anders als in den Formen eines geordneten Ver- 
fahrens und nach regelmäßigem Gehör aller Betheiligten er- 
ledigt werden. Dies ist nach unserer Ueberzeugung in recht- 
licher Hinsicht das Verhältniß des Bundes zur Erbfolgefrage, 
deren politische Tragweite wir an dieser Stelle nicht erörtern wollen. 
„Nichts bedauern wir endlich ernstlicher, als daß man in Frankfurt dem 
Antrage Oesterreichs und Preußens, durch militärische Besetzung Schles- 
wigs die Incorporation dieses Landes in Dänemark verhindern und dadurch 
rechtzeitig ein sicheres Pfand für die Wahrung der Rechte Deutschlands zu 
ergreifen, theils ein zweifelndes Zögern, theils einen anderen Antrag entgegen- 
stellen zu wollen scheint, den wir nicht mehr als übereinstimmend mit den 
Grundgesetzen des Bundes anzuerkennen vermöchten. Der Vorschlag Oester- 
reichs und Preußens geht bis an die äußerste Grenze, dessen, 
was mit dem defensiven Charakter der Bundesinstitution ver- 
einbar ist. Der Vorschlag der großh. hessischen Regierung dagegen über- 
schreitet diese Grenze. Der Art. 2 der Bundesakte, die Art. 35 und 37 der 
Wiener Schlußakte erlauben nicht, daß der Bund ein nicht deutsches Land 
aus dem Grunde militärisch besetze, weil ein Fürst, der als Bundesfürst noch 
nicht einmal anerkannt ist, möglicher Weise künftig den Bund um Vertretung 
seiner Ansprüche auf dieses Land angehen könnte. Als Se. Maj. der Kaiser