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Deutschland.
reichs und Preußens vom 5. Dezember nicht verschwunden, sondern noch erhöht
sieht. Es ist dies in einer doppelten Beziehung der Fall, in Beziehung auf
die Behandlung der Erbfolgesrage nämlich, und auf die Even-
tualität einer militärischen Besetzung des Herzogthums
Schleswig.
„Der deutsche Bund steht, was den ersteren Punkt betrifft, dem Londoner
Vertrage vollkommen frei gegenüber, er ist nicht durch diesen Vertrag gebun-
den, und in unseren Augen ist nichts überflüssiger, als daß er sich diese Frei-
heit erst ausdrücklich wahre. Niemand verlangt vom Bunde, daß er
dem Londoner Vertrag beitrete, Niemand verkennt, daß der Bund in der Erb-
folgefrage ganz so selbständig zu handeln habe, als ob dieser Vertrag niemals
geschlossen worden wäre. Oesterreich und Preußen, obwohl individuell an
demselben festhaltend, haben nicht gezögert, dies anzuerkennen. Nicht am
Bunde ist es also, diese Mächte an ihre Bundespflicht zu erinnern, wohl aber
können und müssen diese Mächte vom Bunde verlangen, daß
er in der Erbfolgefrage nicht nach Willkür und um politischer Vortheile willen,
sondern nach Recht, Gesetz und Verfassung, namentlich also nicht ohne
Beachtung der Schranken seiner Competenz verfahre. König
Christian IX. hat den Thron nicht kraft des Londoner Vertrages, sondern
kraft des von seinem Vorfahren in der Regierung, dem König Friedrich VII.
in seiner Eigenschaft als Herzog von Holstein und deutscher Bundesfürst eben
so gut wie in seiner Eigenschaft als König von Dänemark, erlassenen und
von den deutschen wie von dem dänischen Ministern contrasignirten Thron-
folgegesetzes vom 31. Juli 1853 bestiegen. Der Bund hat gegen dieses
Gesetz niemals protestirt, er hat sogar ausdrücklich durch seinen Beschluß vom
29. Juli 1852, also zu einer Zeit, wo der Londoner Vertrag bereits geschlossen
war, die kgl. dänische Bekanntmachung vom 28. Januar desselben Jahres ge-
nehmigt, worin die Absicht im voraus verkündigt war, mit dem Beistande
der Großmächte die Erhaltung der dänischen Monarchie in ihrem seitherigen
Bestande sicherzustellen. Es kann dies den Bund zwar unstreitig nicht hin-
dern, auch jetzt noch seine verfassungsmäßige Autorität gegenüber jenem Thron-
folgegesetze, soweit es sich auf Holstein und Lauenburg bezieht, geltend zu
machen und berechtigten Reclamationen gegen dasselbe, Folge zu ver-
schaffen. Aber jene Autorität erstreckt sich nicht weiter, als sie auch gegenüber
einer von dem Souverän irgend eines andern Bundeslandes errichteten neuen
Successionsordnung sich erstrecken würde, und diese Reclamationen
können nicht anders als in den Formen eines geordneten Ver-
fahrens und nach regelmäßigem Gehör aller Betheiligten er-
ledigt werden. Dies ist nach unserer Ueberzeugung in recht-
licher Hinsicht das Verhältniß des Bundes zur Erbfolgefrage,
deren politische Tragweite wir an dieser Stelle nicht erörtern wollen.
„Nichts bedauern wir endlich ernstlicher, als daß man in Frankfurt dem
Antrage Oesterreichs und Preußens, durch militärische Besetzung Schles-
wigs die Incorporation dieses Landes in Dänemark verhindern und dadurch
rechtzeitig ein sicheres Pfand für die Wahrung der Rechte Deutschlands zu
ergreifen, theils ein zweifelndes Zögern, theils einen anderen Antrag entgegen-
stellen zu wollen scheint, den wir nicht mehr als übereinstimmend mit den
Grundgesetzen des Bundes anzuerkennen vermöchten. Der Vorschlag Oester-
reichs und Preußens geht bis an die äußerste Grenze, dessen,
was mit dem defensiven Charakter der Bundesinstitution ver-
einbar ist. Der Vorschlag der großh. hessischen Regierung dagegen über-
schreitet diese Grenze. Der Art. 2 der Bundesakte, die Art. 35 und 37 der
Wiener Schlußakte erlauben nicht, daß der Bund ein nicht deutsches Land
aus dem Grunde militärisch besetze, weil ein Fürst, der als Bundesfürst noch
nicht einmal anerkannt ist, möglicher Weise künftig den Bund um Vertretung
seiner Ansprüche auf dieses Land angehen könnte. Als Se. Maj. der Kaiser