Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunter Jahrgang. 1868. (9)

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Nordd. 
Bund. 
Ucbersicht der Erelgnisse des Jahres 1868. 
der preußischen Regierung zum Bundesrathe und des Bundesraths 
zum Reichstage betrifft, kam zwar in der Sitzung vom 9. und 10. 
Juni zur Sprache, ohne indeß schon zu irgend einem Resultate zu 
führen. Den erneuerten Antrag auf Gewährung von Diäten warf 
die Versammlung am 2. April mit 97 gegen 92 Stimmen selbst 
ab. Ein Antrag Lasker's auf Erlaß eines Bundesgesetzes zum 
Schutz der Redefreiheit sämmtlicher Kammern und Landtage der 
Bundesstaaten war speciell auf Preußen gemünzt, um den Wider- 
stand des dortigen Herrenhauses, der nicht zu brechen war, zu um- 
gehen. Er wurde vom Bundeskanzler lebhaft bekämpft, am 3. April 
indeß doch und zwar mit 119 gegen 65 Stimmen angenommen, 
aber vom Bundesrathe schließlich abgelehnt. Derselbe hatte aber 
doch den Erfolg, daß Graf Bismarck sich zu der Erklärung herbei- 
ließ, er werde sich innerhalb der preußischen Sphäre bemühen, die 
Dinge auf den Punkt zu bringen, daß die Wünsche der Antrag- 
steller zu ihrer Befriedigung gelangen. Soweit dies vom preußischen 
Herrenhause abhängt, scheiterte freilich die übrigens ziemlich laue Be- 
mühung des preußischen Ministerpräsidenten seither neuerdings an 
dem bisherigen zähen Widerstand. Aber so viel war doch erreicht, 
daß die preußische Regierung ihrerseits Prozesse wie gegen den Abg. 
Twesten, die ihr gar nichts nützen und nur geeignet sind, die öffent- 
liche Meinung und mit vollem Recht zu erbittern, fernerhin unmöglich 
mehr anheben kann. Einen heftigeren Kampf zwischen dem Bundes- 
kanzler und der Majorität des Reichstags führte die Frage des 
Bundesschuldenwesens herbei. Ein diesfälliges Gesetz war schon im 
Jahre vorher an der Frage der Verantwortlichkeit der mit dem 
Bundesschuldenwesen zu betrauenden Beamten gescheitert. In der 
Session von 1868 brachte die preuß. Regierung das Gesetz neuerdings 
ein und die Majorität (131 gegen 114 Stimmen) fügte am 21. 
April die Verantwortlichkeit wieder in das Gesetz ein, worauf es 
Graf Bismarck alsbald zurückzog. Er begnügte sich jedoch damit 
nicht, sondern sistirte sofort alle außerordentlichen Marinearbeiten, 
um die Majorität zu strafen, da er wohl wußte, wie empfindlich sie 
gerade durch diese Maßregel berührt werde. Er erreichte auch seinen 
Zweck: am 15. Mai ließ sich die Majorität mit 151 gegen bloß 
41 Stimmen zu einem Compromiß herbei, der die Verwaltung der 
Marine-Anleihe vorerst der preußischen Staatsschuldenverwaltung