Preußen und der norddeutsche Bund. 61
Windthorst erklärt die Redefreiheit für ein unerläßliches Privilegium
jedes Volksvertreters, wobei freilich innerhalb des Hauses etwaigen Aus-
schreitungen entgegen getreten werden müsse. Es sei aber unpassend auf diesem
Umwege den Widerstand des Herrenhauses brechen zu wollen, und unerlaubt
die Grenzen der Competenz zu überschreiten, was mit der Annahme des
Lasker'schen Antrags unzweifelhaft geschähe, da derselbe nicht aus criminal-
rechtlichen, sondern aus politischen Erwägungen fließe, und doch habe das
Haus angesichts der abnehmenden Fluth alle Ursache sich auf geradem Wege
zu halten. v. Watzdorf bestreitet besonders die Auffassung der National-
Liberalen, daß das Hindrängen auf eine Erweiterung der Competenz des
norddeutschen Bundes im nationalen Interesse liege. Nach dem, was man
im vorigen Jahr gethan, müsse man vorerst durch Einrichtungen den einzelnen
Gliedern das Leben im großen Staate möglich machen und der Geschichte
die weitere Entwicklung ruhig überlassen. Der Minister legt außerdem gegen
die von Miquel ausgesprochene Verdächtigung Verwahrung ein, daß diejenigen
Regierungen bundesfeindliche Tendenzen verfolgten, welche den Reichstag da-
vor warnten, seine zweifelhafte Competenz über das Maß hinauszudehnen.
Braun: Neben der allgemeinen Competenz für das Strafrecht überhaupt
liege hier der hinreichende verfassungsmäßige Grund für die bestimmte An-
wendung dieser Competenz in der Nothwendigkeit der wesentlichen Ueberein-
stimmung der Grundzüge des politischen Verfassungshaus im ganzen Bunde
und seinen organischen Gliedern. Bismarck: „Ich begrüße den Antrag,
weil er von einer Seite kommt, von der er kommt, als Beweis fortschreiten-
den Vertrauens auf die Art, wie die Bundes-Institutionen sich entwickeln
werden. Wenn ich mich nicht irre, so war man bei Verathung der Ver-
fassung nicht ganz zweifellos über das Maß der Einwirkung, welches man
der Bundesgesetzgebung auf die Landes-Verfassungen beilegen sollte. Man
war nicht ganz frei von der Besorgniß, daß diese Versammlung unter Um-
ständen eine Zusammensetzung haben könnte, welche die Möglichkelt einer
Annäherung an „Karlsbader Beschlüsse“ nicht ganz ausschlösse. Man fürch-
tete, der Spieß, den sie jetzt gebrauchen, könne unter Umständen auch einmal
umgedreht werden. Ich freue mich, daß die Herren von dieser Befürchtung
geheilt sind und diesen Antrag stellen, und so lange ich an dieser Stelle stehe,
hoffe ich, sollen Sie Sich auch in diesem Vertrauen nicht täuschen.“ Seine
Stellung zum materiellen Inhalt des Antrages sei bekannt. „Ich würde es
noch lieber sehen, wenn der Antrag in der Art sich modificirte, wie er im
zweitgrößten Lande des Bundes, in Sachsen besteht, wo die Redefreiheit nur
limitirt ist zu Gunsten derjenigen, welche sich außerhalb des Hauses befinden.
Es sind also Preis gegeben die Mitglieder der Versammlung und die Minister.
Die Mitglieder können sich wehren und die Minister auch; sie müssen sich so
Manches gefallen lassen, sie mögen auch dieses hinnehmen; denn es braucht
ja Niemand Minister zu werden. (Heiterkeit.) Aber diejenigen, welche sich
außerhalb der Versammlung befinden, würde ich gern beschützen. Aus diesem
könnten Sie entnehmen, daß ich dem Antrage nicht widersprechen würde,
wenn er sich in seiner Form als das charakterisirte, was er der Sache nach
wohl ist, nämlich als ein Ausbruch der Ungeduld, daß die Sache in Preußen
sich so langsam entwickelt, als bill of attainder in Betracht der preußischen
Zustände. Eine andere Frage aber ist die, ob wir unseren Bundesgenossen
die Sache im Wege der Gesetzgebung aufdrängen sollen. Ich würde die wei-
tere Entwicklung dieser Frage lieber der Autonomie der einzelnen Stände
überlassen und würde zurückschrecken vor dem Gedanken — ich will nicht
zählen, aber auf 50—90 schätze ich die Versammlungen ganz gewiß, denen
wir hiermit das Privilegium verleihen, das einer der Herren Vorredner als
eine Souverainetät bezeichnete, und was ich jedenfalls doch als eine erhebliche
Befestigung des particularistischen Standpunktes, den sie ihrer Aufgabe und
ihrem Zusammenhange nach zu vertreten haben, ansehen muß. Ich betrachte