Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neunter Jahrgang. 1868. (9)

Preußen und der norddeutsche Bund. 67 
kann dabei die Ausdehnung des Vereins auf Mecklenburg und Lübeck als 
nahe bevorstehend ins Auge fassen. Sie wird zunächst die dauernde Regelung 
der Verkehrsbeziehungen zu einem Nachbarlande zum Gegenstande haben, 
welches durch Stammesverwandtschaft und die mannigfaltigsten materiellen 
Interessen eng mit Deutschland verbunden ist. Der mit Oesterreich am 
9. März d. J. abgeschlossene Handels- und Zollvertrag wird dem gegenseitigen 
Verkehr umfassende, seit Jahren angestrebte Erleichterungen gewähren und 
Anknüpfungspunkte zu weiterer Fortbildung darbieten. Ein Gesetz über 
Abänderung der Zollordnung soll durch Beseitigung der mit den Formen des 
Verkehrs nicht mehr verträglichen Formen des Zollverfahrens die Grundlage 
für eine allgemeine Revision der Zollgesetzgebung feststellen. Eine gleichmäßige 
Besteuerung des Tabaks und eine durchgreifende Abänderung des Zolltarifs 
sind dazu bestimmt, die Freiheit des Verkehrs im Innern des Vereins und 
mit dem Auslande zu fördern und den finanziellen Interessen der Vereins- 
staaten gerecht zu werden. Ein Handels- und Schifffahrtsvertrag mit Spanien 
ergänzt die Reihe der Verträge, durch welche der Zollverein im Laufe der 
letzten Jahre die Rechte der meistbegünstigten Nation erworben und zugestanden 
hat. Ich bin gewiß, daß Sie, geehrte Herren, an die Lösung dieser wichtigen 
Fragen mit demselben Geiste herantreten werden, welcher die Regierungen 
beseelte, als sie sich über den Vertrag vereinigten, auf Grund dessen Ihre 
Berufung erfolgt ist und welcher seither die Berathungen des Bundesrathes 
geleitet hat. Halten Sie das gemeinsame deutsche Interesse fest im 
Auge, vermitteln Sie von diesem Gesichtspunkte aus die einzelnen Interessen, 
und ein Erfolg, der Ihnen den Dank der deutschen Nation gewinnt, wird 
Ihre Anstrengungen krönen. Die freundschaftlichen Beziehungen, welche die 
deutschen Regierungen mit allen auswärtigen Mächten unterhalten, berech- 
tigen zu dem Vertrauen, daß der Entwicklung nationaler Wohlfahrt, deren 
Pflege heute die Vertreter der deutschen Stämme vereinigt, die Segnungen 
des Friedens gesichert bleiben, zu deren Beschützung die deutschen Staaten 
sich unter einander verbündet haben und mit Gottes Beistand jederzeit auf die 
geeinigte Kraft des deutschen Volkes werden zählen können.“ 
28. April. (Zollverein). Zollparlament: Wahl des Präsidenten und 
 
der beiden Vicepräsidenten. 
Der Präsident des nordd. Reichstages Simson wird auch zum Präsidenten des 
Zollparlaments gewählt. 34 unbeschriebene Wahlzettel (die 4 Polen, die 
sächsischen Demokraten, die preuß. Socialdemokraten und der äußerste Flügel 
der schwäbischen Demokratie) protestirten damit weniger gegen Simson als 
gegen die neue Ordnung der Dinge überhaupt. Bei der folgenden Wahl sind 
die weißen Zettel schon auf 7 zusammengeschmolzen (die 4 Polen und die 
3 sächsischen Demokraten). Zum ersten Vicepräsidenten wird der bayerische Mi- 
nisterpräsident Fürst Hohenlohe gewählt; neben ihm erhält der bayerische 
Reichsrath Frhr. v. Thüngen 59 Stimmen (der süddeutschen Clericalen, der 
württembergischen Demokraten und der sächsischen Demokraten). Zum zweiten 
Vicepräsidenten wird der Herzog v. Ujest gewählt, indem die süddeutschen 
Clericalen und Demokraten für ihn stimmen, um damit die beabsichtigte Wahl 
v. Bennigsen's zu Fall zu bringen. 
29.4. (Nordd. Bund). Die schon seit längerer Zeit aufgetauchte 
Behauptung, daß theils durch die den Voranschlag erheblich über- 
steigenden Lebensmittelpreise für das Militär theils durch Minderein- 
nahmen der Post in Folge der Herabsetzung des Porto in den Bundes- 
finanzen ein starkes Deficit eingetreten sei, bestätigt sich. Die offic. 
Prov.-Corresp. meldet, daß eine Verminderung der Friedensstärke des 
Heeres bereits angeordnet sei und daß dieselbe 12,000 Mann betrage. 
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