Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwölfter Jahrgang. 1871. (12)

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Türkei. 
lieblos gegen das Land erscheinen lassen dürfte, indem ich alle persönlichen 
Rücksichten hintangestellt, vielleicht meine Popularität völlig preisgegeben habe 
(bezieht sich auf eine an die Höfe gerichtete Denkschrift). Es wäre jedoch eine 
unverantwortliche Pflichtversäumung gewesen, das Uebel länger zu verschweigen 
und die Zukunft des Landes dem Parteigetriebe willenlos zum Opfer fallen 
zu lassen. Zwar zieht, wer in einer gewissen Lage den Muth hat, die Wahr- 
heit zu sagen und die Dinge beim rechten Namen zu nennen, hienieden vielfach 
den Kürzeren, und so wird es wohl auch mir gehen; nur mit dem dankbar 
anerkannten Unterschiede, daß es mir freisteht, zu meinem sorgenfreien unab- 
hängigen Leben mit schönstem Familienglück in das theure Heimathland zurück- 
zukehren, dessen starker Magnet mich in den schweren Stunden, die ich durch- 
leben mußte, wieder heranzuziehen niemals aufhörte. 
1. Febr. (Rumänien.) Der Ministerrath beschließt, zu erklären, daß 
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der politische Agent Rumäniens, Hr. Steege, welcher gleichzeitig der 
bestallte Commissär des Landes zur Controle des Strousberg'schen 
Eisenbahn-Consortiums ist, nicht berechtigt gewesen sei, am 31. Dec. 
die Erklärung abzugeben, daß Rumänien die Garantie der Zahlung 
des Januar-Coupons bis zum 31. März übernehme. Der Minister- 
rath beschließt vielmehr, zwei Schiedsgerichte einzusetzen, von welchen 
das eine darüber entscheiden soll, ob die Regierung für die Zahlung 
der Eisenbahncoupons vom 1. Jan. 1871 zu haften hat oder nicht, 
und das andere die Frage zu entscheiden haben soll: ob das Eisen- 
bahnconsortium einzelne vollendete Linien des ganzen großen Eisenbahn- 
netzes dem Verkehr unter Zinsengarantie der Regierung übergeben 
darf, oder die Vollendung sämmtlicher Linien abwarten muß. Der 
an diesem Tag fällige Coupon der rumänischen Eisenbahnobligatiom 
wird weder von dem Consortium Strousberg noch von der rumänischen 
Regierung bezahlt. 
„ (Montenegro.) In der Hauptstadt Cettinje tritt eine Art von 
Landtag, aus den Senatoren und Nahijas-(LDistricts-) Aeltesten be- 
stehend, zusammen, welcher sich mit der Wehrfrage beschäftigt. Der 
Fürst macht den Vorschlag: man solle die Heeresmacht des Ländchens 
vermehren. Der Landtag berieth darüber vier Tage lang, und be- 
schließt die Erhöhung der Volkswehr auf das Doppelte. Auch wird 
beschlossen, Abtheilungscommandanten von nun an nur aus der Mitte 
der fähigsten Leute zu nehmen und nicht mehr nach der Anciennetät 
anzustellen, wie es bis jetzt der Fall war, sondern auf das Ergebniß 
einer Prüfung Rücksicht zu nehmen. 
„ (Numänien.) Die Vertreter der Mächte dringen in den Fürsten 
Karl, so lange als nur immer möglich auf seinem Posten auszuharren, 
da sein Rücktritt unabsehbare Verwickelungen und Schwierigkeiten aller 
Art unausweichlich hervorrufen müßte. 
„ In Constantinopel tritt zum ersten Mal eine bulgarische National- 
versammlung zusammen, von allen bulgarischen Gemeinden frei ge- 
wählte Deputirte geistlichen und weltlichen Standes, um nach dem 
Wunsche der Pforte das im vorigen Jahre durch bulgarische Notabeln