Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 137
laturperiode, welche inmitten einer denkwürdigen, für Preußen und Deutsch-
land hochbedeutungsvollen Zeit begann, und welcher es vorbehalten war, die
reichen Erfolge und Früchte jener Epoche auch für die besonderen Aufgaben
der preußischen Monarchie zu verwerthen: Wenn die Arbeiten dieser Legis-
latur auf allen Gebieten der Gesetzgebung einen erfolgreichen Verlauf gehabt
haben, so ist dies vor Allem dem Geist des vertrauensvollen Zusam-
menwirkens zwischen Staatsregierung und Landesvertretung zu
danken, welcher durch die erhebenden Ereignisse jener gewaltigen Zeit mächtig
belebt und gestärkt worden ist. Je erfreulicher die Früchte sind, welche das
Walten dieses Geistes in der nunmehr beendigten Legislaturperiode gebracht
hat, desto berechtigter ist die Hoffnung, daß das preußische Volk bei den
bevorstehenden Wahlen der künftigen Landesvertretung sich von demselben
patriotischen Sinne leiten lassen werde, von dem Sinne fester und vertrauens-
voller Gemeinschaft mit der Regierung Sr. Majestät, zur allseitigen Förde-
rung des wahren Wohles und Gedeihens unseres Vaterlandes."
20. Mai. (Deutsches Reich.) Bei einer Ersatzwahl zum Reichstag in
Oberschlesien wird der (ultramontane) Graf Friedrich Stolberg an
die Stelle des (freiconserv.) Grafen Oppersdorf gewählt.
Ein characteristisches Intermezzo bei dem Wahlkampf bildete der dem
ultramontanen Candidaten gemachte Vorwurf bez. einer Aeußerung über den
Fürsten Bismarck, welche Graf Stolberg in der Schles. Ztg. zu läugnen
versuchte, dadurch aber folgende Erklärung hervorrief: „Berlin, den
17. Mai etc. Director Raczek, Neustadt O/S. Friedrich Graf Stollberg hat
zu Schloß Falkenberg die in der „Schles. Ztg.“ seinerseits bestrittene Aeuße-
rung: „Wenn Graf Bismarck gehängt werden soll, so ziehe ich mit am Strick“
in meiner Gegenwart gethan. (gez.) Graf Frankenberg (Tillowitz), Reichs-
tags-Abgeordneter."
21. „ (Preußen.) Endlich tritt auch die feudal-conservative Partei mit
einem Wahlprogramm hervor, in dem der Widerspruch der preuß.
kgl. Partei mit der Politik der Regierung in den wesentlichsten Puncten
trotz aller vorsichtigen Wendungen unzweideutig hervortritt, das aber
von der Kreuzztg. als eine Abschwächung des ursprünglichen Partei-
programms scharf getadelt wird. Auch die sog. neu-conserv. Partei,
welche sich gelegentlich der Kreisordnungsfrage von den Feudalen
trennte, erläßt ihr Programm.
23. „ (Preußen.) Eine Anzahl orthodoxer hessischer Geistlicher, ca. 30,
beschließen, gegen die Errichtung des hessischen Gesammtconsistoriums
in Cassel zu protestiren.
„ (Deutsches Reich.) Der Reichskanzler publizirt durch das
Reichsgesetzblatt den gegen eine Anzahl Orden und Congregationen
als Affiliirte des Jesuitenordens gefaßten Beschluß des Bundesraths
mit der Maßgabe, daß Niederlassungen dieser Genossenschaften späte-
stens binnen 6 Monaten vom Tage der Bekanntmachung dieses Be-
schlusses an aufzulösen seien.
24. „ (Preußen.) Das Obertribunal als höchster preußischer Landes-
gerichtshof erläßt gegen den rheinischen Apellhof ein folgenschweres
Urtheil über die rechtliche Stellung der sog. Altkatholiken.
Veranlassung dazu giebt die Klage einer altkatholischen Gemeinde wegen
Beschimpfung ihres Gottesdienstes und die Anrufung des den anerkannten