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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
Kirchengesellschaften durch § 166 des beutschen Strafgesetzbuches garantirten
Rechtsschutzes. Die erste Instanz sowohl, als auch die zweite, der rheinische
Appellhof, wiesen die Klage als unbegründet zurück, indem sie erklärten,
daß der genannte Strafgesetzbuch-Paragraph hier keine Anwendung finden
könne. Denn zu den vom Staate anerkannten christlichen Kirchen, die das
Gesetz im Auge haben, gehöre außer der evangelischen nur noch die römisch-
katholische Kirche. Diese aber sei diejenige, welche in dem Papst zu Rom
ihr geistliches Oberhaupt erkenne, und in Preußen durch die in ihrer Wirk-
samkeit staatlich anerkannten Landesbischöfe repräsentirt werde. Die katho-
lische Kirche bestehe gegenwärtig noch in ihrer Organisation in Haupt und
Gliedern. Dagegen vermögen die sogenannten Altkatholiken, indem sie den
Beschlüssen des vaticanischen Concils ihre Anerkennung versagten, ohne Mit-
wirkung ihres bisherigen Oberhauptes sich zu Gemeinden constituirten und
einen abgesonderten Cultus ausübten, sich im Lehrbegriffe sowohl als in der
Disciplin von der römisch-katholischen Kirche trennten, diese nicht weiter zu
repräsentiren, sondern bilden vielmehr eine neue Religionsgesellschaft, welche
die staatliche Anerkennung erst zu erlangen habe. Diese Deduction nun wird
vom Obertribunal nicht anerkannt und dem appellgerichtlichen Erkenntniß
die Zustimmung versagt und sogar ausgesprochen, dasselbe habe die Grenzen
verkannt, innerbalb welchen sich die zur Anwendung der Staatsgesetze be-
rufenen Gerichte zu bewegen haben. Denn der Streit darüber, so führt das
Obertribunal aus, welche Lehren einer Kirche dergestalt wesentlich sind, daß
ihre Anerkennung die Bedingung der Angehörigkeit zu dieser Kirche bildet
sei auf kirchlichem Gebiete, und zwar mit einer auf dieses Gebiet beschränkten
Wirkung zum Austrag zu bringen. Dies gelte insbesondere in dem Falle,
wenn über die Ausdehnung der nach der wahren Lehre der Kirche den Or-
ganen der kirchlichen Gewalt zustehenden Machtbefugnisse gestritten wird, und
in Folge der sich gegenüberstehenden Auffassungen der eine der streitenden
Theile sich in die Lage versetzt sieht, einen seiner Auffassung entsprechenden
abgesonderten Cultus auszuüben. Ein Gerichtshof habe nicht die Befugniß,
aus lediglich dem kirchlichen Gebiete angehörenden Gründen zu entscheiden,
daß die sog. Altkatholiken sich von der römisch-katholischen Kirche getrennt
haben; er habe vielmehr, da es sich um den Schutz handelt, welchen die
Staatsgesetzgebung den christlichen Kirchen gewährt, sich auf die Entscheidung
der Frage zu beschränken, ob nach den Gesetzen des Staates die durch letzteren
erfolgte Anerkennung der katholischen Kirche zu Gunsten der sog. Altkatho-
liken angerufen werden kann oder nicht. Eine Erklärung des Austrittes aus
der katholischen Kirche seitens der sog. Altkatholiken sei aber nicht erfolgt.
Von denselben werde vielmehr ihre volle Zugehörigkeit zu der katholischen
Kirche behauptet, und das nach dem Beschlusse des vaticanischen Concils von
anderen Angehörigen der katholischen Kirche adoptirte Dogma von der päpst-
lichen Unfehlbarkeit als eine Irrlehre bezeichnet, in dessen Annahme der
Abfall dieses Theiles der Katholiken von ihrer Kirche gefunden werden müsse.
Der Staat habe seine Anerkennung der katholischen Kirche nicht an die
Bedingung geknüpft, daß von den Angehörigen derselben irgend eine Lehre
und insbesondere die von der Bedeutung der Beschlüsse eines den Umfang
der päpstlichen Gewalt definirenden Concils als Glaubenslehre anerkannt
werde; und wenn aufgestellt wird: der Staat habe mit der Anerkennung der
katholischen Kirche zugleich deren Organisation und demnach auch die Be-
deutung der Aussprüche anerkannt, welche von den Organen der kirchlichen
Gewalt ausgingen, so werde hiebei übersehen, daß die Anerkennung der kirch-
lichen Organisation und deren Consequenzen sich auf das kirchliche Gebiet
beschränke, da auf dem staatlichen Gebiete Beschlüsse nicht für bindend er-
achtet werden können, auf welche der Staat in keiner Weise eine Einwirkung
auszuüben hat. Das Obertribunal bezeichnet also die Entscheidung des
rheinischen Appellhofes als „eine nicht vom richterlichen, sondern von einem