142
Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
chem seit Constantin dem Großen die christlichen Völker in den verschiedenen
Staaten das Verhältniß zwischen Staat und Kirche geordnet sahen, — das
Princip, welches im Staat und in der Kirche zwei verschiedene, von Gott
eingesetzte Gewalten anerkennt, die bei der mannigfaltigen Berührung und
Verschlingung der Verhältnisse in Bezug auf die Regulirung der Grenzen
ihrer Befugnisse darauf angewiesen sind, nicht einseitig vorzugehen und eigen-
mächtig die Grenzen und Schranken zu setzen, sondern über die zu treffenden
Anordnungen und Bestimmungen sich zuvor friedlich zu verständigen. Die
Kirche kann das Princip des heidnischen Staates: daß die Staatsgesetze die
letzte Quelle alles Rechtes seien, und die Kirche nur die Rechte besitze, welche
die Gesetzgebung und die Verfassung des Staates ihr verleiht, nicht aner-
kennen, ohne die Gottheit Christi und die Göttlichkeit seiner Lehre und Stif-
tung zu leugnen, ohne das Christenthum selbst von der Willkür der Men-
schen abhängig zu machen. Eine Anerkennung dieser Gesetze wäre daher eine
Verwerfung des göttlichen Ursprungs des Christenthums, weil sie das unbe-
dingte Recht des Staates einräumen würde, das ganze Gebiet des christlichen
Lebens durch Gesetze zu bestimmen. Eine solche Anerkennung wäre aber
auch ein Verzicht auf alle anderen historischen und positiven Rechte der
Kirche in Preußen, weil die Gesetzgebung als einzige Quelle des Rechtes sie
alle ohne Ausnahme nach Gutdünken einseitig in Zukunft aufheben könnte.
Auch denjenigen einzelnen Bestimmungen der gedachten Gesetze, welche von
der Kirche an verschiedene Staaten kraft eines Uebereinkommens derselben
mit dem Apostolischen Stuhle zugestanden sind, vermögen wir aus diesem
Grunde nicht Folge zu geben: sonst würden wir die Competenz
des Staates, über kirchliche Dinge einseitig zu verfügen, aner-
ennen.“
Die offiz. Prov.-Corr. äußert sich über diese bischöfliche Erklärung,
namentlich über den letzten Passus, der den Kern der Frage bloß
legt, warnend dahin:
Es gehe hieraus klar hervor, daß es sich bei der Auflehnung der Bischöfe
gegen die Staatsgesetze keineswegs bloß um den Widerstand gegen Zumuthun-
gen handelt, welche an und für sich dem katholischen Gewissen zuwider wären;
es handele sich vielmehr ausgesprochenermaßen um die grundsätzliche Be-
kämpfung der Souveränetät der staatlichen Gesetzgebung der
Kirche gegenüber, und zwar auch da, wo diese Gesetzgebung das
innere Gebiet der Kirche nicht verletzt. „Die Bischöfe selbst werden
gewiß nicht wähnen, daß eine Regierung, welche sich der Größe und Trag-
weite dieser Aufgabe vom ersten Augenblick vollkommen bewußt war, eine
Regierung, welche auf allen anderen Gebieten der Staatsverwaltung und der
Politik dasjenige, was sie für nothwendig und heilsam erkannt hatte, mit
Festigkeit und Stetigkeit durchzuführen gewußt hat, daß eine solche Regie-
rung in dem Augenblicke, wo sie endlich die gesetzlichen Machtmittel erhalten
hat, um jenem staatsseindlichen Anspruche wirksam zu begegnen, vor einer
trotzigen Erneuerung desselben erschrecken oder innehalten sollte! Die Bischöfe
können nicht erwarten, daß ihrer Verwahrung und Auflehnung noch irgend
eine Erwiderung seitens der Staatsregierung zu Theil werde. Nicht um
weitere Erörterungen kann es sich jetzt noch handeln, sondern nur um ruhiges
entschiedenes Handeln, um die allseitig feste, sichere und durchgreifende Aus-
führung und Handhabung der neuen Gesetze. Die Vorbereitungen dazu sind
unmittelbar nach dem Erlaß der Gesetze in allen Beziehungen getroffen; die
Provinzialbehörden sind überall bereits mit vorläufigen Anweisungen ver-
sehen, um die Bestimmungen der Gesetze alsbald wirksam in Vollzug zu
setzen. Bei den getroffenen Anordnungen ist, abgesehen von den Verpflich-
tungen, welche den geistlichen Oberen durch die Gesetze selbst auferlegt werden,
ausdrücklich Vorsorge getroffen, daß auch in Betreff derjenigen Bestimmungen,