Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 153
wenn auch langsam, so doch regelmäßig zugegangen wären. So aber müssen
wir zusehen, daß wir Donnerstag über acht Tage fertig werden, denn noch
fehlen die Gesetze über die Veränderungen des Tarifs, über das Staatspapier=
geld, und das Alles, wenn nicht aus Schuld, so doch aus Veranlassung der
Regierung. Wir wären genöthigt, aus Mangel an geeignetem Berathungs-
stoff 4—5 Tage Ferien zu machen, und da verdenkt man es uns, wenn wir
diese freie Zeit benutzen, um Anträge aus der Initiative des Hauses zu er-
ledigen, Anträge, in denen einmal von Rechten des Volkes die Rede ist,
nachdem wir uns monatelang mit finanziellen Vorlagen beschäftigt. Es kann
für den Bundesrath nur vortheilhaft sein, die Meinung des Hauses über
seinen Preßentwurf kennen zu lernen, da nach meinen Erkundigungen noch
nicht 2 Dutzend Mitglieder des Hauses ihm zustimmen möchten. Fürst Bis-
marck: Ich habe ganz und gar nicht den Reichstag beschuldigt, die Vorlagen
nicht überall rechtzeitig berathen zu haben. Das Militärgesetz ist allerdings
so rechtzeitig erschienen, um von dem Reichstage noch durchberathen werden
zu können, und es wird mir doch nicht bestritten werden können, daß hier
mit einer Art von declamatorischer Abschweifung auf die sogenannten Volks-
rechte.... (Oho! lebhafter Widerspruch links.) Ja, das sind Reminiscenzen
aus der vergangenen Zeit (Nein! nein! hört! links), die ich wohl berechtigt
bin, declamatorische Redensarten zu nennen. (Unruhe). Ich habe lange
genug in Zeiten gelebt, wo Jeder, der etwas für sich, für seine Stellung,
für seine politischen Interessen in Anspruch nehmen wollte und vorzubringen
hatte, sich als Vertreter der Volksrechte hinstellte. Zum Volke gehören wir
Alle, zum Volke gehöre ich ebenso gut wie Sie, ich habe auch mein Volks-
recht, ich kann mich auch Volksvertreter nennen, zum Volk gehört auch Se.
Majestät der Kaiser (große Unruhe), diese Reden vom Volksrecht, das sind
gewisse alte traditionelle Gewohnheiten und Tendenzen von Solchen, die sich
liberal nennen, aber nicht einmal immer sind (lebhafte Unruhe), und ich ver-
bitte es mir, den Namen Volk zu monopolisiren und mich davon auszu-
nehmen. Das verbitte ich mir. (Andauernde Unruhe). Wenn die Herren
das Bedürfniß haben, in die Discussion über das Preßgesetz einzutreten, so
sollen Sie doch nicht glauben, daß wir sie scheuen. Im Gegentheil, wir
haben das Bedürfniß, daß die Frage mit Sachkunde hier debattirt wird.
Schließlich wird beschlossen, in erster Linie das sog. Nothpreßgesetz und erst,
wenn dieses verworfen werden sollte, den von der Commission ausgearbeiteten
Entwurf eines vollständigen liberalen Preßgesetzes auf die Tagesordnung
zu setzen.
18. Juni. (Deutsches Reich.) Bundesrath: weitere Bemühungen, eine
Verständigung über das dem Reichstage vorzulegende Gesetz über das
Staatspapiergeld zu Stande zu bringen.
Die Unterhandlungen drehen sich hauptsächlich um das Begehren der
bayerischen Regierung, welche in erster Linie die Nothwendigkeit betont, die
Papiergeldfrage gleichzeitig mit der Bankfrage zu regeln, schließlich aber den
Versuch macht, wenigstens von der preußischen Regierung die Zusicherung zu
erlangen, daß dieselbe in einer den Absichten des Reichskanzleramtes ent-
sprechenden Weise, d. h. unter Umwandlung der preußischen Bank in eine
Reichsbank, erfolgen werde, und, wie selbstverständlich, in verhältnißmäßig
kurzer Frist. Diese Frage bildet in Wahrheit den Schwerpunkt der Be-
sprechungen des Bundesraths über das Papiergeld-Gesetz. Ein die beider-
seitigen Interessen befriedigendes Resultat wird indeß vorerst noch nicht er-
reicht. Gleichwohl läßt sich mit Rücksicht auf den Reichstag die Beschluß-
fassung über das Papiergeld-Gesetz nicht länger aufschieben. Zunächst wird
sie indeß noch ausgesetzt, da sie höchst wahrscheinlich zu einer Majorisirung
Bayerns zu Gunsten Preußens und seines stlllschweigenden Protestes gegen
die Umwandlung der preußischen Bank in eine Reichsbank geführt hätte, der