Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 159
nachdem Delbrück auf Anfrage erklärt hatte, daß ein definitiver Be-
schluß des Bundesraths über die Annahme des Münzgesetzes nach den
gestrigen Beschlüssen bislang nicht möglich gewesen, die Zustimmung
aber zweifellos sei. Es folgt die dritte Berathung der Tarifreform-
vorlage. Die Beschlüsse der zweiten Berathung werden nach drei-
stündiger Debatte mit einiger Modification angenommen; die Bestim-
mung, daß der Stärkezoll erst am 1. Januar 1877 wegfallen soll,
wird aufrecht erhalten. Ein Hoverbeckscher Antrag auf Wiederher-
stellung der Regierungsvorlage wird in namentlicher Abstimmung mit
134 gegen 98 Stimmen abgelehnt.
24. Juni. (Preußen.) Die Regierung fährt fort, gegen die Bischöfe und
ihren Widerstand gegen die Kirchengesetze energisch vorzugehen: gegen
den Erzbischof und den Weihbischof Baudri von Köln wird Unter-
suchung eingeleitet, weil sie neuerdings im kirchl. Anzeiger einen Er-
laß gegen zwei Geistliche in lateinischer Sprache veröffentlicht haben,
durch welchen dieselben wegen Nichtanerkennung der päpstlichen Unfehl-
barkeit suspendirt und excommunicirt werden.
„ (Sachsen.) Die Regierung sieht sich genöthigt, das Stadtver-
ordneten-Collegium von Meerane wegen ausgesprochen socialistischer
Tendenzen aufzulösen.
25. „ (Deutsches Reich.) Der Kaiser ist durch Unwohlsein gehindert,
den beabsichtigten Besuch zur Weltausstellung in Wien zu machen.
Vorerst geht an seiner Stelle die Kaiserin dahin, während sich der
Kaiser vorbehält, den Besuch später doch noch zu machen.
Die Aufnahme der deutschen Kaiserin von Seite des österr. Kaiserhofs ist
eine überaus herzliche. Bei dem für sie veranstalteten Galadiner werden fol-
gende Toaste gewechselt: Kaiser Franz Joseph: „Da mir zu meinem
innigsten Bedauern der Besuch meines theuern Freundes, des Kaisers Wil-
helm, vorläufig versagt blieb, trinke ich auf das Wohl Sr. Majestät des
deutschen Kaisers mit dem Ausdrucke der herzlichsten Dankbarkeit für den
unvergeßlichen Besuch Ihrer Majestät der Kaiserin Augusta. Beide Maje-
stäten leben hoch!“ Kaiserin Augusta antwortet: „Ew. Majestät wissen,
wie schmerzlich der Kaiser bedauert, gegenwärtig nicht hier sein zu können.
Ew. Majestät wissen aber auch, daß es mein ehrenvoller Auftrag ist, seine
jetzige Abwesenheit zu entschuldigen und zugleich jener Freundschaft gewidmet
ist, die in treuen Wünschen für das Wohl beider Majestäten, für das Wohl
ihrer Länder und Völker herzlichen Ausdruck findet."
„ (Deutsches Reich.) Reichstag: genehmigt in definitiver Abstim-
mung das provisorische Banknotengesetz, die Zolltarifreform und den
Etat für 1874. Damit ist der Reichstag endlich an dem von allen
Seiten ersehnten Ende der Session angelangt, die Fürst Bismarck
schließt:
„Se. Maj. der Kaiser bedauert lebhaft durch ein mit Gottes Hülfe in
sicherer Besserung befindliches Unwohlsein verhindert zu sein, Sie, meine
Herren, vor Ihrer Trennung zu sehen, und den Schluß der Sitzungen per-
sönlich zu bewirken. Se. Maj. hat mich beauftragt Ihnen zu erklären, wie
gern er selbst dem Dank der verbündeten Regierungen Ausdruck dafür ge-