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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
geben haben würde, daß Sie sich auch in dieser Session zum Theil unter schwie-
rigen Umständen der weiteren Ausbildung unserer verfassungsmäßigen Insti-
tutionen und der Lösung der Aufgaben, welche uns der Krieg hinterlassen
hat, mit hingebender Anstrengung gewidmet haben. Indem ich mich darauf
beschränke, diesen allerhöchsten Auftrag hiermit zu vollziehen, erkläre ich auf
Befehl Sr. Maj. des Kaisers im Namen der verbündeten Regierungen den
Reichstag für geschlossen." Das Haus stimmt stürmisch ein in das von
Simson ausgebrachte Hoch auf den Kaiser.
Unmittelbar nach dem Schluß des Reichstags tauchen in Berlin
wiederum zahlreiche Gerüchte auf, nach welchen der Reichskanzler ganz
aus dem preußischen Ministerium auszuscheiden beabsichtige, woraus
geschlossen wird, daß die Freundschaft zwischen ihm und dem nun-
mehrigen Ministerpräsidenten doch Manches zu wünschen lasse und daß
die Uebereinstimmung zwischen dem Reichskanzler und dem Kaiser wieder
einmal eine kleine Störung erlitten habe. Inzwischen gehen der Kaiser
nach Ems und Gastein, der Kanzler nach Varzin und muß die Lösung
der Frage wenigstens als aufgeschoben betrachtet werden.
26. Juni. (Preußen.) Der Kaiser trifft die Ernennungen zum kgl.
Gerichtshof in kirchlichen Angelegenheiten. Derselbe besteht aus 7 Pro-
testanten und 4 Katholiken.
„ (Preußen.) Der bisherige Präsident des Abg.-Hauses, v. Forcken-
beck, wird auf Grund der Präsentation der Breslauer Gemeindebe-
hörden vom Kaiser zum Mitgliede des Herrenhauses ernannt und nimmt
die Wahl an.
„ (Baden.) Das Oberhofgericht entscheidet ganz wie das preuß.
Ober-Tribunal bez. der Stellung der Altkatholiken, indem er sie als
Katholiken anerkennt.
27. „ (Preußen.) Im Cultministerium sind nunmehr die gesammten
Vollziehungsvorschriften für die Maigesetze beendigt.
30. „ (Deutsches Reich.) Bundesrath: ertheilt dem Münzgesetz, wie
es vom Reichstag beschlossen wurde, mit sammt dem § 18 betr. Bank-
noten und Papiergeld, gegen die einzige Stimme von Sachsen seine
Zustimmung, lehnt dagegen den Beschluß des Reichstags bez. Mecklen-
burg (Antrag Büsing) auch dießmal wieder ab.
Ein directes Ersuchen an die mecklenburgische Regierung, etwa durch eine
Resolution oder ein Monitorium, Remedur zu schaffen, wird nicht gerichtet,
aber durch den Gang der Debatte wird der mecklenburgischen Regierung doch
deutlich zu erkennen gegeben, daß, wenn sie nicht die geeignete Reform ein-
treten laße ein Bundesbeschluß im Sinne des Reichstages binnen einer nicht
zu lang bemessenen Frist zu gewärtigen wäre.
„ (Preußen.) Der Olberkirchenrath gibt durch ein Rundschreiben
den kirchlichen Behörden Fingerzeige bez. der Ausführung der sog.
kirchenpolitischen Gesetze. Die offiz. Prov.-Corr. erklärt sich mit dem
Rundschreiben sehr zufrieden, indem er darin eine Bürgschaft erkennt,
daß die Ausführung der Gesetze Seitens der Staatsregierung zu einem
Zerwürfniß mit der evang. Kirche nicht führen werde.