Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierzehnter Jahrgang. 1873. (14)

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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 
Volksschulgesetzesentwurfs. Die Kammer verschärft ihrerseits mehrfach 
die Bestimmungen des Entwurfs in antiultramontanem Sinne. 
Zuerst wird in § 1 die „religiös-sittliche Bildung“, gegenüber einem An- 
trage das Wort „religiös“ zu streichen, mit allen gegen nur 3 Stimmen bei- 
zubehalten, dagegen auch der Zusatz „und national“ gegen eine Minderheit 
von nur 4 Stimmen beschlossen. Dann kommt die Cardinalfrage für das 
Zustandekommen des Gesetzes zur Behandlung. Der Regierungs-Entwurf 
erklärt sich nämlich im Prinzip zwar für sog. gemeinsame Schulen, d. h. 
für solche, welche für die Kinder sämmtlicher Angehöriger einer politischen 
Gemeinde bestimmt sind, aber er will die bestehenden Confessionsschulen, unter 
Verpflichtung der Gemeinde zur Kostenbestreitung, insolange aufrecht erhalten, 
als nicht durch die Vertreter der politischen Gemeinde und die Schulvorstände 
der betheiligten Confessions- (Religions-) Gemeinden die Vereinigung der  
Schulen zu gemeinsamen beschlossen wird. Die Möglichkeit einer Verwand- 
lung gemeinsamer in confessionelle Schulen kennt der Entwurf dagegen nicht. 
Ein Antrag des Abg. Schröder nun ist dahin gerichtet, die bestehenden Con- 
fessionsschulen ohne weiteres kraft des Gesetzes für gemeinsame zu erklären. 
Das scheint denn doch Vielen zu weit zu gehen und einen Conflict jedenfalls 
mit der I. Kammer, möglicher Weise auch mit der Regierung zu provociren. 
Viele Abgeordnete wünschen deßhalb eine bestimmte Erklärung der Regierung, 
um an dem drohenden Conflict vorüberzukommen, ja theilweise wünscht man 
sie im ablehnenden Sinne auch von Seiten solcher Abgeordneten, die prin- 
zipiell dem Antrag Schröder zustimmen. Auf spezielle Aufforderung des 
Abg. Dernburg erfolgt denn auch diese Erklärung durch den Ministerial- 
director v. Starck und man muß zugestehen, daß sie an Bestimmtheit und 
Festigkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Er hält der Kammer vor, daß 
die Abstimmung nicht nur für diesen Gesetzesentwurf, sondern überhaupt für 
das Verhältniß der Regierung zu den Ständen entscheidend sei. Die Regie- 
rung werde aus derselben zu entnehmen haben, ob sie in maßvollen Reformen 
auf die Unterstützung der Kammermehrheit zu rechnen habe, oder nicht. Ueber 
das Prinzip sei kein Streit, aber über die zweckmäßigste Art seiner Ausfüh- 
rung müsse man der Regierung die Entscheidung überlassen. Der Antrag 
Schröder sei ein Unrecht, eine Tyrannei gegen alle die Gemeinden, die von 
dessen Richtigkeit nicht überzeugt seien. Gerade die liberale Partei habe allen 
Anlaß, sich vor solcher Tyrannei zu hüten. In dem Kampfe gegen die 
staatsfeindlichen Richtungen der Gegenwart, welchen das Ministerium in seiner 
Stellung mit Freuden aufgenommen, dürfe man dem Gegner nicht die Waffen 
noch in die Hand drücken. Der ersten Kammer gegenüber werde die An- 
nahme des Antrages Schröder die Durchführung des Gesetzes der Regierung 
geradezu unmöglich machen. Nach dieser Erklärung zieht Schröder selbst 
seinen Antrag zurück, und die Kammer nimmt den Regierungsentwurf nach 
dem Antrage ihres Ausschusses mit allen gegen die drei Stimmen der cleri- 
calen Abgg. Franck, Wolz und Allmann an. Bei Art. 29, der für die Aus- 
bildung der Lehrer Schullehrerseminarien und für die Vorbereitung zu der- 
selben Präparandenanstalten schaffen will, beantragt Metz die Einführung 
gemeinsamer Seminarien für alle Confessionen als eine Consequenz der von 
der Kammer beschlossenen gemeinsamen Volksschulen, und Ministerial-Director 
v. Starck bezeichnet die gemeinsamen Seminarien auch als das zu erstrebende 
Ziel, glaubt jedoch, daß eine Betonung dieses Prinzips bei diesem Artikel 
die Betonung des gegentheiligen Prinzips von anderer Seite hervorrufen und 
das allseitig gewünschte Zustandekommen des Gesetzes gefährden werde. Der 
erstrebte Zweck werde außerdem theilweise bereits dadurch erreicht, daß die 
Leitung der bestehenden Seminarien nun ausschließlich in weltliche Hände 
kommen solle. Der Antrag Metz gelangt indeß gegen die Stimmen von 
Wolz und Franck zur Annahme. Eine längere Debatte entspinnt sich über