Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 179
die betreffenden Geistlichen von den Gerichten freigesprochen, weil nach dem
Buchstaben des Gesetzes das Verbot von der Staatsbehörde dem Pfarrer vor
seiner Ernennung hätte zugestellt werden sollen, obgleich dieß ja unmöglich
war, da die Ernennung seitens der Bischöfe erfolgte, ohne daß sie dieselbe
vorher, wie es das Gesetz verlangt, den staatlichen Behörden angezeigt hätten.
Das Gesetz hätte also insofern eine „Lücke.“
24.— 25. Aug. (Deutschland.) Congreß der social-democratischen Ar-
beiterpartei (Bebel-Liebknecht) in Eisenach.
Es sind 71 Delegirte mit 134 Mandaten anwesend, welche 110 Orte mit
9224 Parteigenossen vertreten. Ein mitgetheilter Vergleich der socialdemo-
cratischen Arbeiterpartei (Bebel-Liebknecht) mit dem Allgemeinen deutschen
Arbeiterverein (Hasenclever) ergibt, daß dem letzteren zwar größere pecuniäre
Mittel zur Verfügung gestanden, daß aber dessen ungeachtet die erstere in
Bezug auf Entfaltung agitatorischer Kraft und Erfolg mindestens gleich
günstige Resultate zu verzeichnen habe. Die Situation des Parteiorgans
„Volksstaat"“ stellt sich außerordentlich günstig; zwar sind noch immer einige
alte Schulden vorhanden, doch wirft das Blatt jetzt einen solchen Ueberschuß
ab, daß deren Tilgung mit Leichtigkeit zu bewerkstelligen ist. Es kommen
verschiedene Anträge zur Verhandlung, welche darauf hinauslaufen, die
Selbständigkeit der Localblätter der Partei zu beschränken und den Einfluß
des Parteiausschusses auch hier zu dem allein maßgebenden zu machen. Bei
der Debatte treten, wie schon wiederholt, die centralistische und die föderali-
stische Partei einander gegenüber; die letztere siegt zwar, jedoch nur mit dem
geringen Uebergewicht von 32 gegen 30 Stimmen, was bei der allgemein
centralistischen Strömung der Zeit für die Zukunft nur geringe Bürgschaft
eines gleichen Entscheids gewährt. Nach einem von dem Fürther Verein ge-
stellten Antrag wird allen Parteimitgliedern, die noch einer andern politischen
Partei angehören oder mit einer solchen in Verbindung stehen, die Alterna-
tive gestellt, entweder aus der social-democratischen Arbeiter-Partei zu scheiden
oder der andern zu entsagen. Zu lebhafter principieller Debatte gibt Ver-
anlassung folgender Antrag der Breslauer Mitglieder: „Der Sitz des Aus-
schusses kann, wenn letzterer seinen Pflichten nachgekommen, wieder gewählt
werden, doch darf sich derselbe nie länger als zwei aufeinander folgende Jahre
an ein und demselben Orte befinden, dagegen muß der Sitz der Control-
Commission jährlich wechseln." Geyser vertheidigt den Antrag mit großem
Geschick, betont hauptsächlich, daß die Gewohnheit des Herrschens, die dadurch
Platz greife, daß der Ausschuß eine Reihe von Jahren an einem Orte, und
voraussichtlich ohne Veränderung der Personen, sich befinde, dem democrati-
schen Principe gefährlich werde. Motteler will nicht, daß man sich die Hände
binde, äußerliche Verhältnisse könnten zwingen, den Ausschuß mehrere Jahre
an einem Orte zu belassen. Der Antrag wird durch Namensaufruf mit 33
gegen 29 Stimmen angenommen. Zum Vorort für nächstes Jahr wird
Hamburg, zum Sitz der Control-Commission Frankfurt a. M. gewählt. Be-
züglich der Frage der Wahlen wird zunächst beschlossen: „Da von Seiten
unserer Partei bereits Schritte zur Einigung der gesammten deutschen Social-
Democratie gemacht worden, von der dießjährigen Generalversammlung des
allgemeinen deutschen Arbeitervereins zu Frankfurt a. M. die Einigung aber
fast einstimmig zurückgewiesen ist, erklärt der Congreß, jedweden Versuch mit
obiger Fraction, sei er auf Einigung der Partei oder auf die Wahlen ge-
richtet, einzustellen.“ Ferner: „Die social-democratische Arbeiterpartei be-
trachtet die Reichstagswahlen nur als Agitationsmittel und als Prüfstein
für die Verbreitung ihrer Principien, jedes Compromiß mit anderen Par-
teien ablehnend.“ Als officielle Candidaten werden vom Congreß folgende
Personen für folgende Kreise aufgestellt: Grib im 9. sächsischen Wahlkreis
Freiberg-Hainichen, Vahlteich im 15. sächsischen Wahlbezirk Mittweida-Fran-
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