Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierzehnter Jahrgang. 1873. (14)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 181 
Grundlagen des Christenthums, insbesondere der Gottheit unseres Herrn Jesu 
Christi; — die offenkundige und betrübende Thatsache, daß die Entfremdung 
von der Kirche und die Gleichgiltigkeit gegen das Evangelium in einem gro- 
ßen Theile unseres Volkes je länger je mehr einen kirchenfeindlichen und 
antichristlichen Character annimmt; — die aus dem allen sich ergebenden 
ernsten Gefahren für Lehre und Leben, Recht und Bestand der evangelischen 
Kirche in unserem Vaterlande — haben ein tiefes Verlangen nach engerem 
Zusammenschluß aller ihrer Glieder, welche mit Treue am Bekenntniß fest- 
halten, in weiten Kreisen hervorgerufen. 2) Die in den meisten unserer 
alten Provinzen vorhandenen Pastoralconferenzen wirken zwar in ihrem Be- 
reich mit sichtbarem Segen; sie stehen jedoch ohne Verbindung neben einander 
und bedürfen zu erfolgreicher Mitarbeit an der Lösung der kirchlichen Auf- 
gaben der Gegenwart und kräftiger Abwehr der immer drohenderen Gefahren 
der Zusammenfassung zu einer größeren Gemeinschaft. 3) Der „evangelische 
Kirchentag“ kann für die Glieder der evangelisch-lutherischen Kirche innerhalb 
der Union keinen Sammelpunkt mehr bilden und das gegenwärtige Bedürfniß 
nach einer umfassenderen kirchlichen Vereinigung nicht befriedigen. Denn er 
hat nicht nur den bei seiner Gründung ausgesprochenen Gedanken der Con- 
föderation aufgegeben, sondern vermag auch bei dem Mangel einer klaren 
Bekenntnißgrundlage keine bestimmte Grenze gegen den Unglauben zu ziehen. 
4) Das durch die Ereignisse des Jahres 1848 bereits hervorgerufene und 
seit der Wiederherstellung des deutschen Reiches gesteigerte Verlangen nach 
einer Verbindung aller evangelischen Landeskirchen Deutschlands kann nur 
dann Befriedigung finden, wenn auch bei uns in Preußen das Lehramt an 
das Bekenntniß gebunden, das h. Abendmahl demselben gemäß verwaltet 
und die Wahrung und Pflege des Bekenntnisses durch die Organisation des 
Kirchenregiments gesichert wird. 5) Hierbei wird anerkannt, daß den Refor- 
mirten eine geordnete Vertretung in den Synoden, wie in den kirchlichen 
Behörden, und sofern sie an lutherischer Lehre und Sacramentsverwaltung 
keinen Anstoß für ihr Gewissen nehmen, gastweise Theilnahme am heiligen 
Abendmahl gewährt werden kann. 6) Wenn so nach allen Seiten Gerechtig- 
keit geübt wird, werden Lutheraner, Reformirte und Unirte sich zu segens- 
reicher Arbeit im Reiche Gottes, wie zum Kampfe gegen die gemeinsamen 
Feinde vereinigen können in dem gemeinsamen Glauben an Jesum Christum, 
den eingebornen Sohn des Vaters, der auch in den gegenwärtigen Gefahren 
seine Verheißungen an seiner Kirche erfüllen und sie zum Siege führen wird." 
II. Gegen den Protestantenverein: „1) Die Conferenz erkennt in 
dem Protestantenverein einen Abfall von der Grundwahrheit des Evange- 
liums und eine Gefahr für die Kirche, deren Abwehr eine ernste Pflicht des 
Glaubens ist. Dem gegenüber wiederholt sie das Bekenntniß des Glaubens 
an Jesum Christum, den Erlöser der Welt, welcher ist wahrhaftiger Gott, 
vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch, von der 
Jungfrau Maria geboren. 2) Indem die Conferenz es anerkennt, daß in 
dem in der Untessuchung wider den Prediger Dr. Sydow ergangenen Er- 
kenntniß Seitens des Kirchenregiments die Bedeutung des kirchlichen Bekennt- 
nisses als bindender Norm für die gesammte kirchliche Amtsführung ausge- 
sprochen ist, glaubt sie, in Erwägung, daß es für den Bestand der Kirche 
im tiefsten Grunde nur Eine Gefahr gibt, nämlich die Erschütterung ihres 
Bekenntnisses, eben so sehr die Nothwendigkeit hervorheben zu müssen, daß 
der Anerkennung des Bekenntnisses überall practische Folge gegeben werde, 
damit nicht der Widerspruch der Thatsachen die theoretische Anerkennung 
lähme und der Unglaube sich das Heimathsrecht in der Kirche ertrotze. 3) 
Da nach der allerhöchsten Cabinetsordre vom 6. März 1852 das Kirchen- 
regiment verpflichtet ist, dem Bekenntniß auch der lutherischen Kirche Schutz 
und Pflege zu gewähren, so spricht die Conferenz ihre Ueberzeugung dahin 
aus, daß es der Erfüllung dieser Pflicht in ihrem vollen Umfange hinderlich
	        
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