Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 181
Grundlagen des Christenthums, insbesondere der Gottheit unseres Herrn Jesu
Christi; — die offenkundige und betrübende Thatsache, daß die Entfremdung
von der Kirche und die Gleichgiltigkeit gegen das Evangelium in einem gro-
ßen Theile unseres Volkes je länger je mehr einen kirchenfeindlichen und
antichristlichen Character annimmt; — die aus dem allen sich ergebenden
ernsten Gefahren für Lehre und Leben, Recht und Bestand der evangelischen
Kirche in unserem Vaterlande — haben ein tiefes Verlangen nach engerem
Zusammenschluß aller ihrer Glieder, welche mit Treue am Bekenntniß fest-
halten, in weiten Kreisen hervorgerufen. 2) Die in den meisten unserer
alten Provinzen vorhandenen Pastoralconferenzen wirken zwar in ihrem Be-
reich mit sichtbarem Segen; sie stehen jedoch ohne Verbindung neben einander
und bedürfen zu erfolgreicher Mitarbeit an der Lösung der kirchlichen Auf-
gaben der Gegenwart und kräftiger Abwehr der immer drohenderen Gefahren
der Zusammenfassung zu einer größeren Gemeinschaft. 3) Der „evangelische
Kirchentag“ kann für die Glieder der evangelisch-lutherischen Kirche innerhalb
der Union keinen Sammelpunkt mehr bilden und das gegenwärtige Bedürfniß
nach einer umfassenderen kirchlichen Vereinigung nicht befriedigen. Denn er
hat nicht nur den bei seiner Gründung ausgesprochenen Gedanken der Con-
föderation aufgegeben, sondern vermag auch bei dem Mangel einer klaren
Bekenntnißgrundlage keine bestimmte Grenze gegen den Unglauben zu ziehen.
4) Das durch die Ereignisse des Jahres 1848 bereits hervorgerufene und
seit der Wiederherstellung des deutschen Reiches gesteigerte Verlangen nach
einer Verbindung aller evangelischen Landeskirchen Deutschlands kann nur
dann Befriedigung finden, wenn auch bei uns in Preußen das Lehramt an
das Bekenntniß gebunden, das h. Abendmahl demselben gemäß verwaltet
und die Wahrung und Pflege des Bekenntnisses durch die Organisation des
Kirchenregiments gesichert wird. 5) Hierbei wird anerkannt, daß den Refor-
mirten eine geordnete Vertretung in den Synoden, wie in den kirchlichen
Behörden, und sofern sie an lutherischer Lehre und Sacramentsverwaltung
keinen Anstoß für ihr Gewissen nehmen, gastweise Theilnahme am heiligen
Abendmahl gewährt werden kann. 6) Wenn so nach allen Seiten Gerechtig-
keit geübt wird, werden Lutheraner, Reformirte und Unirte sich zu segens-
reicher Arbeit im Reiche Gottes, wie zum Kampfe gegen die gemeinsamen
Feinde vereinigen können in dem gemeinsamen Glauben an Jesum Christum,
den eingebornen Sohn des Vaters, der auch in den gegenwärtigen Gefahren
seine Verheißungen an seiner Kirche erfüllen und sie zum Siege führen wird."
II. Gegen den Protestantenverein: „1) Die Conferenz erkennt in
dem Protestantenverein einen Abfall von der Grundwahrheit des Evange-
liums und eine Gefahr für die Kirche, deren Abwehr eine ernste Pflicht des
Glaubens ist. Dem gegenüber wiederholt sie das Bekenntniß des Glaubens
an Jesum Christum, den Erlöser der Welt, welcher ist wahrhaftiger Gott,
vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch, von der
Jungfrau Maria geboren. 2) Indem die Conferenz es anerkennt, daß in
dem in der Untessuchung wider den Prediger Dr. Sydow ergangenen Er-
kenntniß Seitens des Kirchenregiments die Bedeutung des kirchlichen Bekennt-
nisses als bindender Norm für die gesammte kirchliche Amtsführung ausge-
sprochen ist, glaubt sie, in Erwägung, daß es für den Bestand der Kirche
im tiefsten Grunde nur Eine Gefahr gibt, nämlich die Erschütterung ihres
Bekenntnisses, eben so sehr die Nothwendigkeit hervorheben zu müssen, daß
der Anerkennung des Bekenntnisses überall practische Folge gegeben werde,
damit nicht der Widerspruch der Thatsachen die theoretische Anerkennung
lähme und der Unglaube sich das Heimathsrecht in der Kirche ertrotze. 3)
Da nach der allerhöchsten Cabinetsordre vom 6. März 1852 das Kirchen-
regiment verpflichtet ist, dem Bekenntniß auch der lutherischen Kirche Schutz
und Pflege zu gewähren, so spricht die Conferenz ihre Ueberzeugung dahin
aus, daß es der Erfüllung dieser Pflicht in ihrem vollen Umfange hinderlich