Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 189
Ich bin Mir bewußt, daß Ich über Erfüllung dieser Meiner Königlichen
Pflicht Gott Rechenschaft schuldig bin, und Ich werde Ordnung und Gesetz
in Meinen Staaten jeder Anfechtung gegenüber aufrecht halten, so lange
Gott Mir die Macht dazu verleiht; Ich bin als christlicher Monarch dazu
verpflichtet, auch da, wo Ich zu Meinem Schmerz diesen Königlichen Beruf
gegen die Diener einer Kirche zu erfüllen habe, von der Ich annehme, daß
sie nicht minder, wie die evangelische Kirche, das Gebot des Gehorsams gegen
die weltliche Obrigkeit als einen Ausfluß des uns geoffenbarten göttlichen
Willens erkennt. Zu Meinem Bedauern verleugnen Viele der Eurer Heilig-
keit unterworfenen Geistlichen in Preußen die christliche Lehre in dieser Rich-
tung und setzen Meine Regierung in die Nothwendigkeit, gestützt auf die
große Mehrzahl Meiner treuen katholischen und evangelischen Unterthanen,
die Befolgung der Landesgesetze durch weltliche Mittel zu erzwingen. Ich
gebe Mich gern der Hoffnung hin, daß Eure Heiligkeit, wenn von der wahren
Lage der Dinge unterrichtet, Ihre Autorität werden anwenden wollen, um
der, unter bedauerlicher Entstellung der Wahrheit und unter Mißbrauch des
priesterlichen Ansehens betriebenen Agitation ein Ende zu machen. Die Re-
ligion Jesu Christi hat, wie Ich Eurer Heiligkeit vor Gott bezeuge, mit
diesen Umtrieben nichts zu thun, auch nicht die Wahrheit, zu deren von
Eurer Heiligkeit angerufenen Panier Ich Mich rückhaltslos bekenne. Noch
eine Aeußerung in dem Schreiben Eurer Heiligkeit kann Ich nicht ohne
Widerspruch übergehen, wenn sie auch nicht auf irrigen Berichterstattungen,
sondern auf Eurer Heiligkeit Glauben beruht, die Aeußerung nämlich, daß
Jeder, der die Taufe empfangen hat, dem Papste angehöre. Der evangelische
Glaube, zu dem Ich Mich, wie Eurer Heiligkeit bekannt sein muß, gleich
Meinen Vorfahren und mit der Mehrheit Meiner Unterthanen bekenne, ge-
stattet uns nicht, in dem Verhältniß zu Gott einen anderen Vermittler als
unseren Herrn Jesum Christum anzunehmen. Diese Verschiedenheit des Glau-
bens hält Mich nicht ab, mit denen, welche den unseren nicht theilen, in
Frieden zu leben und Eurer Heiligkeit den Ausdruck Meiner persönlichen Er-
gebenheit und Verehrung darzubringen. Wilhelm.“
Der Briefwechsel wird nicht sofort, sondern erst am 14. Oktober, vor
den allgemeinen Landtagswahlen in Preußen, durch den „Staatsanzeiger“
veröffentlicht. Derselbe macht in und außer Deutschland einen gewaltigen
Eindruck. Die Ultramontanen erblicken in der Veröffentlichung alsbald einen
schweren Schlag. Der Erzbischof Manning von Westminster erklärt deshalb
sofort öffentlich den Brief des Papstes für eine bloße Fälschung und die
ultramontanen Blätter Deutschlands behaupten, derselbe sei zum wenigsten
ungenau oder unrichtig übersetzt. Die Veröffentlichung des italienischen Ori-
ginals macht indeß allen Zweifeln alsbald ein Ende.
3. Sept. (Preußen). Der neue k. Gerichtshof für kirchliche Angelegen-
heiten tritt zum ersten Mal in Berlin zusammen.
4. „ (Deutsches Reich). Der Kronprinz des deutschen Reiches und
von Preußen tritt seine Truppeninspektion in Württemberg und Bayern
an, wo er wiederum, wie schon im vorhergehenden Jahre, von der
Bevölkerung äußerst sympathisch empfangen wird.
5. „ (Deutsches Reich). Frankreich zahlt den letzten Rest seiner
Kriegsentschädigung von 5 Milliarden nach den Bestimmungen der
letzten Convention darüber vom 15. März l. J. Die Auseinander-
setzung zwischen Deutschland und Frankreich ist damit vollendet; die
letzten deutschen Truppen werden den französischen Boden verlassen.
6. (Preußen). Gelegentlich der Beeidigung der Gemeindevorsteher