Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 235
einigen Schritten im Sinne der von der Regierung beharrlich ange-
strebten Union der beiden Herzogthümer.
Statt der bisherigen beiden vereinzelten Landtage, welche sich nur für
vereinzelte Fälle zu einer gemeinsamen Commission vereinigten, werden beide
Herzogthümer in Zukunft nur einen einzigen Landtag, der abwechselnd in
Coburg und Gotha zusammentreten soll, erhalten. Nach der neuen, von
den Ständen genehmigten Bestimmung wird dieser gemeinsame Landtag von
jetzt an bestehen aus 19 Abgeordneten des Herzogthums Gotha und 11 Ab-
geordneten des Herzogthums Coburg, zusammen also aus 30 Abgeordneten.
Eine fernere wichtige Gemeinsamkeit wird für beide Herzogthümer in der
Justizgesetzgebung und Verwaltung und den Kosten für dieselbe fortan ein-
treten. Eine Erhöhung der Diäten von 2½ Thlr. täglich auf 4 Thlr. für
die Landtags-Abgeordneten, welche das Staats-Ministerium beantragt hatte,
lehnte der Landtag in seltener Uneigennützigkeit ab, da die Mitglieder nicht
für sich selbst Geld bewilligen wollten.
15. Dec. (Preußen.) Wie bereits gegen den Bischof von Ermeland und
den Erzbischof von Posen, so verhängt die Regierung nunmehr auch
gegen den Bischof von Paderborn die Temporaliensperre.
„ (Hessen) anerkennt den altkath. Bischof Reinkens als kath. Bischof
für das Großherzogthum.
16. (Bayern.) Der Erzbischof von München und nach ihm auch alle
anderen Bischöfe des Königreichs erlassen mit Rücksicht auf die bevor-
stehenden Reichstagswahlen Wahlhirtenbriefe, ohne für dieselben das
staatliche Placet eingeholt zu haben. Die Gläubigen werden dadurch
„bei ihrem Gewissen“ ermahnt, sich massenhaft an den Wahlen zu
betheiligen, selbstverständlich im Sinne der römischen Kirche resp. der
römischen Hierarchie.
17. „ (Preußen.) Abg.-Haus: erste Lesung des Gesetzesentwurfs betr.
Einführung der obligatorischen Civilehe. In der Debatte gerathen
der ehemalige Rundschauer der Kreuzzeitung und der Reichskanzler hart
aneinander. Es wird beschlossen, auch die zweite Lesung im Plenum
vorzunehmen und zwar sofort schon am folgenden Tage.
„ (Hessen.) I. Kammer: läßt sich bez. der landständischen Ge-
schäftsordnung (Initiative der Kammern) und bez. der Verwaltungs-
gesetze schließlich, theilweise in Folge eines kleinen Pairsschubs, doch
zu Concessionen herbei, beharrt indeß gegenüber der II. Kammer bez.
des Volksschulgesetzes auf ihrem Widerspruch gegen die Ausschließung
der Orden aus der Schule.
18—20. „ (Preußen.) Abg.-Haus: Zweite Lesung des Civilehegesetzes.
Der Kampf dreht sich hauptsächlich um die Ausschließung oder Nicht-
ausschließung der Geistlichen von den Civilstandsämtern. Die Ma-
jorität neigt sich unzweifelhaft der Ausschließung zu, kommt aber den
Wünschen der Regierung wenigstens theilweise entgegen. Schließlich
wird das Gesetz in allem Wesentlichen mit 208 gegen 110 Stimmen
angenommen.