Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierzehnter Jahrgang. 1873. (14)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 235 
einigen Schritten im Sinne der von der Regierung beharrlich ange- 
strebten Union der beiden Herzogthümer. 
Statt der bisherigen beiden vereinzelten Landtage, welche sich nur für 
vereinzelte Fälle zu einer gemeinsamen Commission vereinigten, werden beide 
Herzogthümer in Zukunft nur einen einzigen Landtag, der abwechselnd in 
Coburg und Gotha zusammentreten soll, erhalten. Nach der neuen, von 
den Ständen genehmigten Bestimmung wird dieser gemeinsame Landtag von 
jetzt an bestehen aus 19 Abgeordneten des Herzogthums Gotha und 11 Ab- 
geordneten des Herzogthums Coburg, zusammen also aus 30 Abgeordneten. 
Eine fernere wichtige Gemeinsamkeit wird für beide Herzogthümer in der 
Justizgesetzgebung und Verwaltung und den Kosten für dieselbe fortan ein- 
treten. Eine Erhöhung der Diäten von 2½ Thlr. täglich auf 4 Thlr. für 
die Landtags-Abgeordneten, welche das Staats-Ministerium beantragt hatte, 
lehnte der Landtag in seltener Uneigennützigkeit ab, da die Mitglieder nicht 
für sich selbst Geld bewilligen wollten. 
15. Dec. (Preußen.) Wie bereits gegen den Bischof von Ermeland und 
 
 
den Erzbischof von Posen, so verhängt die Regierung nunmehr auch 
gegen den Bischof von Paderborn die Temporaliensperre. 
„ (Hessen) anerkennt den altkath. Bischof Reinkens als kath. Bischof 
für das Großherzogthum. 
16.   (Bayern.) Der Erzbischof von München und nach ihm auch alle 
anderen Bischöfe des Königreichs erlassen mit Rücksicht auf die bevor- 
stehenden Reichstagswahlen Wahlhirtenbriefe, ohne für dieselben das 
staatliche Placet eingeholt zu haben. Die Gläubigen werden dadurch 
„bei ihrem Gewissen“ ermahnt, sich massenhaft an den Wahlen zu 
betheiligen, selbstverständlich im Sinne der römischen Kirche resp. der 
römischen Hierarchie. 
17.   „ (Preußen.) Abg.-Haus: erste Lesung des Gesetzesentwurfs betr. 
Einführung der obligatorischen Civilehe. In der Debatte gerathen 
der ehemalige Rundschauer der Kreuzzeitung und der Reichskanzler hart 
aneinander. Es wird beschlossen, auch die zweite Lesung im Plenum 
vorzunehmen und zwar sofort schon am folgenden Tage. 
„ (Hessen.) I. Kammer: läßt sich bez. der landständischen Ge- 
schäftsordnung (Initiative der Kammern) und bez. der Verwaltungs- 
gesetze schließlich, theilweise in Folge eines kleinen Pairsschubs, doch 
zu Concessionen herbei, beharrt indeß gegenüber der II. Kammer bez. 
des Volksschulgesetzes auf ihrem Widerspruch gegen die Ausschließung 
der Orden aus der Schule. 
18—20. „ (Preußen.) Abg.-Haus: Zweite Lesung des Civilehegesetzes. 
Der Kampf dreht sich hauptsächlich um die Ausschließung oder Nicht- 
ausschließung der Geistlichen von den Civilstandsämtern. Die Ma- 
jorität neigt sich unzweifelhaft der Ausschließung zu, kommt aber den 
Wünschen der Regierung wenigstens theilweise entgegen. Schließlich 
wird das Gesetz in allem Wesentlichen mit 208 gegen 110 Stimmen 
angenommen.
	        
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