Trankreich. 311
das linke Centrum stützen kann, isolirt zwischen zwei Feuern, und Hr. Thiers
hat schon die Consequenzen davon erfahren, daß er bei der Wahl seines neuen
Ministeriums gemeint hat, ohne die Mitwirkung der wichtigsten und ansehn-
lichsten Partei der Kammer regieren zu können und den Schwerpunkt vom
rechten Centrum ins linke verlegen zu müssen. Der Beschluß der Moajorität,
die Vorlagen des Hrn. Thiers nicht einmal anhören zu wollen, ist eine
directe Beleidigung des Präsidenten der Republik und zeigt deutlich, daß die
Rechte entschlossen ist, alles zu wagen. Herr Dufaure, der bleich, mit ge-
kreuzten Armen und in der Haltung eines Angeklagten, auf der Tribüne
das Resultat erwartet, scheint schon den Boden unter den Füßen des neuen
Ministeriums wanken zu sehen. Dasselbe hatte gehofft, durch die sofortige
Verlesung jener Projecte sich Freunde zu gewinnen: allein weder das per-
sönliche Ansehen, welches Hr. Dufaure bei der Mehrheit genießt, noch das
große Interesse, das sich an seine Mittheilungen knüpft, konnte die feind-
selige Stimmung der Rechten besiegen. Wenn die Linke für die Verlesung
stimmt, so ist mehr die Neugierde nach dem Inhalte des famosen Projectes
und die Opposition gegen die Rechte der eigentliche Beweggrund, weniger
das Bestreben, die Regierung zu unterstützen; denn die Errichtung der zweiten
Kammer und andere Bestimmungen der neuen Constitution finden gerade bei
den Republikanern großen Widerspruch. Die Radicalen protestiren sogar
gegen die Vorlage jener organischen Gesetze in den Erwägungen, welche der
Proposition Peyrat vorangehen.
20. Mai. Nat.-Versammlung: Bei der Bildung der Büreaux wählen 13
conservative Präsidenten, nur 2 republikanische. Hr. Buffet wird mit
der überraschend großen Mehrheit von 359 Stimmen wieder zum
Präsidenten der Versammlung gewählt: Hr. Martel, der Candidat der
Regierung, erhält nur 289 Stimmen und fällt auch bei der Wahl
der Vicepräsidenten und selbst der Secretaire durch. Die Rechte scheint
über eine compacte Majorität für jeden Antrag gebieten zu können.
23.— 24. „ Nat.-Versammlung: Debatte über die Interpellation der 320
(Interpellation Changarnier) vom 19. Mai:
Justizminister Dufaure: Die Regierung kann den Interpellanten für
diese ihr gebotene Gelegenheit, sich freimüthig zu äußern, nur dankbar sein.
Die herrschende Aufregung datirt, wie auch der Hr. Vorredner feststellte, von
den Wahlen vom 27. April und vom 11. Mai. Auch wir machten uns
über die Gefahren, welche in diesen Wahlen angekündigt wurden, kein Hehl.
Die Regierung weist die Lehren der radicalen Partei von sich, sie verurtheilt,
sie erachtet sie für unfähig, eine regelmäßige Gesellschaft zu gründen; sie ist
der Ansicht, daß, wenn diese kehee zur Geltung kämen, es in Frankreich
keine Ordnung und keine Sicherheit, sondern nur noch eine gleiche Freiheit
für Gute und Böse geben würde, nur untermischt mit zügellosem Despotis-
mus. (Ungläubiger Widerspruch rechts.) Was wirft man uns also vor?
Man spricht von zwei entgegengesetzten Tendenzen. Wenn man sich aber nur
an unsere Acte halten wollte! Haben wir nicht seit der Bewältigung der
Commune alle Ausschreitungen der demagogischen Partei im Zaum gehalten?
Die Regierung war es, welche das wichtige Gesetz gegen die Internationale
veranlaßte, die Genossenschaftsgesetze aufrecht erhielt, für die Herstellung einer
einsichtigen Jury sorgte, das alles vergessen Sie und denken nur an gewisse
Salonklatschereien. (Unruhe rechts.) Nennen Sie uns doch seit zwei Jahren
ein Gesetz, in welchem wir die Interessen der Gesellschaft aus dem Auge ge-
lassen hätten! Auch das se betreffend die Gemeindeverwaltung von Lyon,
wurde von dem ganzen Ministerium eingebracht. Sie sehen, was es mit
unseren angeblichen Avancen für die radicale Partei auf sich hat. Wenn