Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierzehnter Jahrgang. 1873. (14)

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Trankreich. 
Philosoph darf in aller Muße untersuchen, ob diese oder jene Regierungs- 
sorm die bessere ist. Wenn man aber am RNuder steht, verhält, sich die Sache 
anders. Das Provisorium ist gefährlich, indem es die Arena für alle Par- 
teien frei läßt; Gewaltthätigkeiten der einen haben Gewaltthätigkeiten der 
anderen zur Folge. Wir suchten die Zukunft so lange als möglich offen zu 
halten; wenn wir aber im rechten Augenblick Ihnen sagen, daß es nun mit 
dem Provisorium nicht mehr gehe, so ist das doch noch lange kein Verrath. 
Ein alter Anhänger der Monarchie, kann ich jetzt kein Hehl daraus machen, 
daß die Monarchie bei uns unmöglich ist. Sie selbst gestehen dieß indirect 
ein, indem Sie sagen, daß Sie nicht für die monarchische, sondern für die 
conservative Sache kämpfen. Es gibt nur einen Thron und drei haben auf 
demselben nicht Platz. (Unruhe rechts.) Wenn die gegenwärtige Regierung 
beständig verkannt und beschimpft wird, so liegt das an dem Provisoriuns 
Ich bedauere, daß ich mich von zwei Ministern trennen mußte; aber es war 
nun einmal ein einheitliches, homogenes Ministerium nothwendig und darum 
wählte ich Männer, die in der Hauptsache meine Ideen theilten. Mit den 
constitutionellen Gesetzen bieten wir Ihnen die Hand; das werden Sie erst 
bei aufmerksamerer Durchlesung derselben erkennen. Unabweislich war es 
allerdings geboten, ihnen eine definitive Bestimmung der Regierungsform 
voranzuschicken. Das allgemeine Stimmrecht kann, nicht mehr umgestürzt 
werden. Ich habe es seiner Zeit mit allem Eifer bekämpft; jetzt ist seine 
Lerschaft unumstößlich; wohl aber kann man es reinigen und moralisiren. 
as Zweikammer-System ist unbedingt geboten. Die Geschichte kennt kein 
Beispiel, daß die Geschicke eines Landes dauernd einer einzigen Versammlung 
anvertraut gewesen wären. Man muß auch die Conflicte zwischen der Volks- 
vertretung und der-#executiven Gewalt voraussehen, Conflicte, von denen wir 
hier ja mehr als ein Beispiel haben. Die Bestimmungen des Dreißiger- 
Gesetzes haben alle Instincte meines natürlichen Verstandes beleidigt, und 
doch habe ich mich ihnen aus Versöhnung und um des lieben Friedens willen 
unterworfen. Leider sehe ich, daß dieses Entgegenkommen vergeblich war. 
Auf der Rechten will man unsere Vorlagen nicht zulassen, weil sie von etwas 
anderem als der Monarchie handeln; auf der Linken verwirft man sie, weil. 
man diesem Haus alle souveränen Rechte abspricht und vorgibt, daß nur 
die künftige Nationalversammlung die Republik constituiren könne. Wir 
glauben im Gegentheil, daß wir, indem wir Ihnen diese Entwürfe zur Grün- 
dung der conservativen Republik vorlegen, recht eigentlich als Conservative 
handeln. Die letzten Wahlen sind lange nicht so beunruhigend, als man 
glauben machen wollte. Partielle Wahlen fallen beinahe immer der conser- 
vativen Partei ungünstig aus; in den allgemeinen Wahlen werden die ge- 
mäßigteren Anschauungen schon durchdringen. Die conservativen Candidaten 
unterlagen, weil man ihnen immer monarchische Hintergedanken zutraute. 
Wenn erst die Republik außer Frage sein wird, dann werden die Wahlen 
nicht mehr einen extremen Character haben. In dieser Absicht legten wir 
  
Ihnen unsere Gesetzentwürfe vor. Wenn auch sie sich unmächtig erweisen 
sollten, dann wäre freilich nur für die Dictatur Platz, und wohin diese 
führt, das brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Mit ihr fiel Frankreich 
im Jahre 1815 wenigstens noch ruhmvoll. Aber wie fiel es im Jahre 
1870! Die Dictatur der Großen richtet uns mit Ruhm zu Grunde, die 
Dictatur der Kleinen richtet uns schlechtweg zu Grunde. (Anhaltender Beifall 
links.) Die materielle Ordnung ist bei uns eine vollständige; sie ist hun- 
dertmal größer als bei unseren Siegern, manche deutsche Stadt war in der 
letzteren Zeit der Schauplatz von Unruhen, die bei uns unmöglich wären. 
Gestern sagte man der Regierung harte Dinge und dieß in einem mitleidigen 
Ton, der uns wirklich nahe gehen mußte. Ein Redner prophezeite mir ein 
schlechtes Ende; er sagte, daß ich der Lächerlichkeit verfallen werde und daß 
  
ich der Schutzbefohlene des Radicalismus sei. Ich danke ihm für diese freund-