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müsse, bis in der öffentlichen Meinung, die ihr ungünstig, ein Umschwung
eingetreten. Einstweilen sei darauf zu dringen, daß die aus dem Stellver-
tretungssystem erwachsenen Uebelstände dadurch gelindert werden, daß die
Stellvertretung von der Regierung selbst besorgt und somit der Speculation
entrissen wird. Sollte auch hierdurch die Vollständigkeit des vom Organi-
sationsgesetz fixirten Effectivs nicht erzielt werden, so werde er andere Vor-
schläge machen. Die weiteren vom Minister Thiebault beabsichtigten Ab-
änderungen entsprechen den von seinem Vorgänger in dessen Bericht über
die Mobilmachung von 1870 bezeichneten Lücken, unter anderem die Erwei-
terung der Präsenzzeit für die Infanterie von 26 auf 30 Monate, die
Bildung eines neuen Cavallerie-Regiments, die Herstellung eines bis jetzt
ganz und gar fehlenden Train-Dienstes, die Verstärkung der Feld-Artillerie
nach den in den Armeen der benachbarten Staaten hierin befolgten Verhält-
nissen, Verbesserung des Verwaltungs-Dienstes u. s. w. Alles dieß wird
bedeutende Geldopfer kosten, und die katholische Partei es sich gefallen lassen
müssen, auf das Banner, unter welchem sie 1870 die liberale Verwaltung
gestürzt hat und welches die Devise trug: „Verminderung der Militär-Aus-
gaben“ definitiv zu verzichten, wodurch freilich ihre Stärke in den Kreisen
des Kleinbürgerthums und sogar auf dem platten Lande merklich beeinträchtigt
werden könnte. Die durch Annahme der Vorschläge des Kriegsministers be-
dingte Erhöhung des Militärbudgets wird auf ca. 4 Mill. angeschlagen.
15. Mai. II. Kammer: genehmigt das Militärbudget zunächst in der bis-
herigen Höhe von 36¾ Mill. Der Kriegsminister legt die von ihm
am 1. d. M. angekündigten Gesetzesentwürfe betr. die Stellvertretung,
die Verlängerung der Präsenzzeit 2c., welche das Budget künftig um
3—4 Mill. vermehren werden, vor. Der Ministerpräsident, Hr.
Malonu, macht die Annahme dieser Gesetzesentwürfe zur Cabinetsfrage.
Die clericale Partei erhebt jedoch gegen dieselben ein großes Geschrei
und macht Miene, dem Cabinet, das ihr überhaupt zu gemäßigt auf-
tritt, den Gehorsam aufzukündigen.
— Juni. Auch in Belgien setzt die Geistlichkeit mehr als gewöhnlich zahl-
reiche Wallfahrten ins Werk, ähnlich wie in Frankreich.
26. Juli. II. Kammer: genehmigt mit 97 gegen 3 Stimmen einen in
Folge eines schreienden Falls eingebrachten Gesetzesentwurf, der den
Vlämingern wenigstens das Recht sichert, vor den Criminalgerichten in
Zukunft nur in ihrer Muttersprache verhört und abgeurtheilt zu werden.
3. Aug. II. Kammer: genehmigt die Militärvorlagen des Kriegsministers
mit ansehnlichen Majoritäten, in ihrer Gesammtheit schließlich mit 54
gegen 37 Stimmen.
17. „ Großartige Festlichkeiten in Antwerpen zu Ehren des Königs. Die
Clericalen nehmen daran keinen Antheil.
15. Sept. Sämmtliche ehemalige Administratoren der clericalen Langrand-
schen Schwindelbank werden vor das Zuchtpolizeigericht verwiesen.
16. „ In Antwerpen siegen bei zwei Ergänzungswahlen zur II. Kammer
die Clericalen doch wieder, jedoch nur mit Hülfe der Landgemeinden.
Die Stadt selbst bleibt definitiv der liberalen Partei gewonnen.