Rußland. 443
12. Dec. Der Regierungsanzeiger veröffentlicht erst jetzt den Friedensver-
trag mit Chiwa und begleitet denselben, jedenfalls mit Rücksicht auf
die Aufregung der öffentlichen Meinung in England, mit einläßlichen
Erläuterungen und Motivirungen.
Zunächst gibt der „Reg.-Anz.“ einen allgemeinen Aufschluß über die
bekannten Motive der Expedition (Züchtigung des Chans und Sicherung
des Verkehrs und des russischen Gebiets gegen künftige Räubereien und Feind-
seligkeiten) und über die Motive der theilweisen Annexion. Der „Reg.-Anz."
theilt mit: daß es ursprünglich gar nicht in der Absicht Rußlands gelegen,
Annexionen zu machen, daß sich solche aber, nachdem man in Folge der
Einnahme Chiwa's die dortigen Verhältnisse kennen gelernt, als unerläßlich
und als ein Gebot der Selbsterhaltung erwiesen hatten, da sich herausgestellt
habe, daß der Chan, ohne eine geregelte militärische Macht zur Seite, gegen-
über den nomadisirenden Turkmenen unmächtig und nicht Herr im eigenen
Lande sei, so daß er nicht bloß selbst um Anlegung einer russischen Be-
festigung in der Nähe Chiwa's gebeten, sondern sogar den Wunsch ausge-
sprochen habe, auch den ihm verbliebenen linksseitigen Theilen des Landes
eine russische Besatzung zu geben. Die Annexion des ganzen rechten Ufers
des Amu wird mit der Unmöglichkeit, im Norden eine Befestigung anzu-
legen, motivirt, da sich dort wegen der Sümpfe kein zur Herstellung der
Verbindung mit russisch Turkestan geeignetes Terrain gefunden habe, im
Winter der Amu auch nicht fahrbar sei und die südliche Anlegung des Forts
einen Streifen Land zur Herstellung der Verbindung erheische, wenn man
nicht den Marsch durch die Steppe zu nehmen sich genöthigt sehen wollte.
Die Uebertragung des südlichen Winkels von Chiwa auf den Chan von
Bochara sei dagegen geschehen, um letzterem eine Passage für seine Kara-
wanen nach russisch Turkestan zu ermöglichen. Der „Reg.-Anz.“ kommt
dann auf die einzelnen Bestimmungen des Friedensvertrages zu sprechen,
und theilt solche in dauernde und transitorische. Am schwierigsten, so scheint
es, ist dem „Regierungs-Anzeiger“ die Vertheidigung des Artikel 1 und
der Artikel 14 und 15 geworden, denn die Nothwendigkeit der übrigen
Artikel springt in die Augen, wenn auch vielleicht nicht für die augen-
blicklich voreingenommenen Engländer. Artikel 14 und 15 stellen nämlich
gewisse Normen für das Proceßverfahren und die Rechtsprechung fest, wobei
die Russen offen bar begünstigt sind, indem Forderungsrechte der Russen gegen
Chiwesen vor den Forderungsrechten der Chiwesen gegen Chiwesen bei der
Beitreibung eines Vorzugs genießen und Klagen von Chiwesen gegen Russen,
auch wenn solche auf chiwesischem Gebiete leben, nur von russischen Gerichten
verhandelt werden sollen, während Art. 1 lautet: daß der Chan bekenne, er
sei der „ergebene Diener des russischen Kaisers, entsage allen unmittelbaren
und freundschaftlichen Beziehungen zu den benachbarten Herrschern und
Chanen und dem Abschluß irgendwelchen Handels= oder anderer Tractate
mit denselben, und allen Kriegsunternehmungen ohne Genehmigung Ruß-
lands.“ In Bezug auf Art. 1 heißt es nun: „derselbe habe, abgesehen von
seiner moralischen Bedeutung, nach allen feindseligen Handlungen Chiwa's
seinen Grund in dem Bestreben, allen Zwistigkeiten und Conflicten unter
den mittelasiatischen Herrschern vorzubeugen, welche unbedingt ihre gegen-
seitige Schwächung, Unordnungen und Anarchie zur Folge haben würde.“
Art. 14 und 15 werden in Bausch und Bogen mit den Art. 6—13 zu-
gleich abgefertigt, und es heißt in Bezug hierauf: Diese Artikel regeln die
Handelsbestimmungen, die auf Gegenseitigkeit und Gleichheit (7) beruhen.
Die in den Art. 2 und 3 enthaltene Bestimmung der Gränzen ist nach dem
„Reg.-Anz.“ von dem Wurnsch eingegeben, „in der Lage zu sein, jederzeit
die räuberischen Unternehmungen der chiwesischen Turkmenen zu zügeln und
die Communication der russischen Truppenabtheilungen und Karawanen zu