Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierzehnter Jahrgang. 1873. (14)

464 
AUebersicht der Ereignisse des ZLahres 1873. 
dene von derjenigen, welche bis dahin Frankreich unter den europäischen 
Staaten eingenommen hatte. Frankreich ging während der ganzen 
Zeit, da es einen vorwiegenden Einfluß in Europa ausübte, beständig 
darauf aus, sein Gebiet möglichst zu vergrößern, selbst durch Landes- 
theile, die seinem Volksthum völlig fremd waren; so weit dieß aber 
nicht möglich war, bemühte es sich wenigstens die ihm benachbarten 
Nationen, zumal die ihm stammverwandten, in eine gewisse Abhängig— 
keit von ihm zu bringen und nahm darauf gestützt geradezu eine Art 
Vorherrschaft in Europa in Anspruch. 
Deutschland macht einen solchen Anspruch nicht. Es ist zu— 
frieden, Elsaß-Lothringen, das seiner Zeit verrätherisch und gewaltsam 
aus seinem Leib herausgerissen worden war, wieder mit sich vereinigt 
zu haben. Mehr verlangt es nicht. Selbst diejenigen Staaten, von 
denen einzelne Theile seinem Volksthum angehören, die sich aber schon 
vor langer Zeit und gewissermaßen in organischer Weise von ihm los- 
gelöst haben, die deutschen Provinzen Oesterreichs, Holland, das vlä- 
mische Belgien, die deutsche Schweiz, die russischen Ostseeprovinzen 
haben von Deutschland auch nicht das allermindeste zu befürchten. Das 
neue deutsche Reich genügt sich vollkommen innerhalb der Gränzen, 
die es umspannt und es fühlt sich stark und mächtig genug, die vollste 
Freiheit seiner innern Entwickelung gegen jede Beeinträchtigung von 
außen, von welcher Seite immer eine solche versucht werden möchte, 
mit kräftiger Hand zu wahren und ebenso seinen berechtigten Antheil 
an der Lösung irgend welcher europäischen Frage in vollem Maße in 
Anspruch zu nehmen. Der Kaiser selbst hat diese Aufgabe dem neuen 
Reiche unmittelbar nach Beendigung des glorreichen Krieges bei der 
Eröffnung des ersten deutschen Reichstages vom 20. März 1871 mit 
den für immer denkwürdigen Worten aufs prägnanteste ausgesprochen 
und umschrieben: „Wir haben erreicht, was seit der Zeit unserer Väter 
„für Deutschland erstrebt wurde: die Einheit und deren organische 
„Gestaltung, die Sicherung unserer Gränzen, die Unabhängigkeit un- 
„serer nationalen Entwickelung. Der Geist, der in dem deutschen 
„Volk lebt und seine Bildung und Gesittung durchdringt, nicht minder 
„die Verfassung des Reichs und seine Heereseinrichtungen bewahren 
„Deutschland inmitten seiner Erfolge vor jeder Versuchung zum Miß- 
„brauch seiner durch seine Einigung gewonnenen Kraft. Die Achtung, 
„welche Deutschland für seine eigene Selbständigkeit in Anspruch nimmt,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.