Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierzehnter Jahrgang. 1873. (14)

AUebersicht der Ereignisse des Tahrts 1873. 
Kraft seiner Gesetze keiner anderen Autorität, keiner noch so mächtigen 
Corporation beugen; mit je größeren äußeren oder inneren Ansprüchen 
solche Versuche hervortreten, desto dringender wird die Staatsgewalt 
veranlaßt sein, ihre alleinige Souveränetät sicher zu stellen.“ Uebri- 
gens wurde nochmals betont, daß es sich nur um das äußere, ganz 
überwiegend weltliche, nicht aber um das innere Gebiet der Kirche 
handle, und daß die preußische Regierung sich sorgfältig davor hüten 
werde, „in das Gebiet der Gewissensfreiheit, des Glaubenslebens und 
der mit demselben zusammen hängenden kirchlichen Einrichtungen und 
Sitten einzugreifen.“" Zum Schluß wurden die Bischöfe wiederholt 
auf die Folgen ihrer Handlungsweise aufmerksam gemacht: „Wenn 
aus der Verfolgung des Glaubens zumeist ein tieferes Glaubensleben 
erblühte, so haben dagegen die Kämpfe, welche durch die geistliche 
Herrschsucht heraufbeschworen wurden, die Kirche selbst stets geschwächt 
und zerrüttet. Diese Besorgniß haben die deutschen Bischöfe auf dem 
vaticanischen Concil auch in Bezug auf die jetzigen Kämpfe unum- 
wunden ausgesprochen; sie haben gegen das Verfahren der Mehrheit 
des Concils protestirt „„um die Verantwortung für die unglücklichen 
Folgen vor den Menschen und vor dem furchtbaren Gerichte Gottes 
von sich abzulehnen.““ Dieselben Bischöfe, welche damals solches 
Zeugniß abgelegt haben, können nicht der Staatsgewalt die Verant- 
wortung für den Kampf zuweisen, nachdem sie selber im Voraus ver- 
kündet hatten, daß die weltlichen Regierungen nicht anders würden 
handeln können, als es jetzt geschieht.“ Ebenso wenig wie die Re- 
gierung ließ sich die weit überwiegende Mehrheit des preußischen Ab- 
geordnetenhauses von den ultramontanen Drohungen einschüchtern. 
Nachdem die Modification der bezüglichen Verfassungsbestimmungen von 
beiden Häusern beschlossen und vom Kaiser sanctionirt war, wurde 
die Berathung der vier Gesetze selbst in Angriff genommen und bis 
zum 21. März erledigt. Die Schlußabstimmung ergab für alle eine 
stärkere sogar als bloß eine Zweidrittelmehrheit. Die Opposition be- 
stand aus der geschlossenen ultramontanen Fraction, denen sich, der 
inneren Verwandtschaft folgend, eine übrigens nicht gar große Anzahl 
von Feudal-Conservativen angeschlossen hatte. Eben dieselben boten 
ihre letzten Kräfte noch im Herrenhause gegen die Vorlagen auf, aber, 
wie sie selbst zum voraus wußten, ohne Erfolg. Die Debatte war 
jedoch interessant. Mehrere Redner der Minderheit beleuchteten die 
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