Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierzehnter Jahrgang. 1873. (14)

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Mebersicht der Erceignisse des Jahres 1873. 
eine neue Erfindung der preußischen Regierung. Alles war nicht nur 
auch schon dagewesen, sondern ist in andern, selbst rein katholischen Ländern 
heute noch zu Recht bestehend und zwar vielfach schon seit hundert 
und mehr Jahren und im Einverständniß mit der kath. Kirche und 
ihren constituirten Gewalten selbst, durch förmliche Verträge zwischen 
den Staatsgewalten und der römischen Curie. Dennoch beschlossen 
die preußischen Bischöfe neuerdings in einer Conferenz zu Fulda vom 
29. April bis zum 2. Mai, ein Sendschreiben an ihren Klerus und 
an sämmtliche Gläubige ihrer Diöcesen zu richten, in dem sie bestimmt 
erklärten, sich ihrerseits jenen Gesetzen nicht unterwerfen zu wollen, 
und Clerus und Volk ermahnten, sich in diesem Widerstande fest um 
sie zu schaaren, unter dem erneuerten Vorgeben, daß dieselben „mit der 
von Gott geordneten Verfassung und Freiheit der Kirche in wesent- 
lichen Punkten in Widerspruch ständen“ und daß die Durchführung 
derselben unausweichlich den Ruin nicht bloß der Kirche, sondern sogar 
der Religion selber mit sich bringen werde, nicht ohne verständlich 
genug anzudeuten, daß eben das von Seite des Staates in Preußen 
geradezu beabsichtigt werde. Billig fragte man sich, wie denn das 
möglich sei, wenn der Staat in Preußen von der katholischen Kirche 
und ihren Priestern für sein Gebiet nur fordere, was in einer ganzen 
Reihe anderer und zwar sogar ausschließlich katholischer Staaten seit 
längster Zeit unangefochten zu Recht bestand, was die katholische Kirche 
demnach dort für ganz unschädlich erachten mußte, ja was sie selber in 
vielfachen Concordaten ausdrücklich und mit der Unterschrift ihres ober- 
sten Pontifex zugestanden und sanctionirt hatte. Der ganze Unter- 
schied bestand eben darin, daß der Staat Preußen sich vermaß, diese 
an sich der katholischen Confession und der katholischen Kirche als 
christlicher Heilsanstalt in keiner Weise widersprechenden, vielmehr an- 
derswo von ihr selbst ohne Bedenken zugestandenen und anerkannten 
Bestimmungen nicht durch Unterhandlungen und durch Vertrag oder 
Concordat mit dem römischen Papste, sondern aus eigenem Rechte und 
ohne den römischen Papst erst zu fragen, bei sich einführen zu wollen. 
Der preußische Staat anerkennt die Religion und das eigentliche Ge- 
biet der Kirche, der katholischen so gut wie der protestantischen, als 
christlicher Heilsanstalt als ein ihm fremdes und denkt nicht daran, 
in dasselbe hindernd oder befehlend eingreifen zu wollen, er erklärte 
sich im Gegentheil bei jeder Gelegenheit bereit, dieselben nicht bloß zu