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Aebersicht der Ereignisse des Jahres 1873.
seit 1859, sondern seit 1789 in der Welt geschaffen worden war,
nicht das leiseste Bedenken getragen haben, die italienische Einheit, so
viel an ihm lag, womöglich wieder zu Gunsten der früheren legitimen
Dynastien zu zerschlagen. So viel auch die gegenwärtigen Zustände
Italiens noch zu wünschen übrig lassen, darüber sind doch Alle einig,
daß sie den früheren Zuständen Italiens vor 1859, nach dem Herzen
der Legitimisten und Clericalen, noch hundertmal vorzuziehen sind.
Besuch Gegen die von Frankreich her möglicher Weise drohende Gefahr gab
d. Königs
von Ita-
es aber nur ein sicheres Mittel, ein enger Anschluß an das mächtige
lien in deutsche Reich, das allerdings in der Lage war, Italien zu schützen
Wien u.
Berlin. und Frankreich im Zaume zu halten. Minghetti sah das so gut ein,
als alle anderen Italiener, und war rasch entschlossen. Schon im
April war davon die Rede gewesen, der König werde die Einladung
des Kaisers von Oesterreich, ihm bei Gelegenheit der großen Welt-
industrie-Ausstellung in Wien einen Besuch zu machen, annehmen und
die Reise bis nach Berlin ausdehnen. Damals aber hatte der König
den Plan wieder aufgegeben, hauptsächlich auch, um den Franzosen
nicht neuen Anlaß zu Groll gegen Italien darzubieten. Jetzt wurde
der Plan ernsthaft wieder aufgenommen und erregte allgemeine Be-
friedigung, namentlich in den der Regierung sonst entschieden nicht
freundlich gesinnten Kreisen. Die gesammte Presse, die clericale allein
ausgenommen, billigte den Plan: es war eine ausgesprochene, ener-
gische Demonstration gegen Frankreich und was damals dort vorging
und geplant wurde. Mitte September, gerade da die Anstrengungen
der französischen Monarchisten sich ihrem Zenith zu nähern schienen,
brach der König mit einem großen Gefolge, in dem sich der Minister-
präsident und der Minister des Auswärtigen und außerdem mehrere
Generale befanden, nach Deutschland auf. Auf dem ganzen Wege durch
Italien wurde er von Ovationen der Bevölkerungen begleitet, die deutlich
zeigten, wie populär der Schritt war. Er langte am 17. September
in Wien an; der Kaiser und die Bevölkerung der Hauptstadt nahmen
ihn mit der größten Zuvorkommenheit auf. Am 20., gerade am
Jahrestage der Einnahme Roms im Jahre 1870, hielt der öster-
reichische Kaiser eine glänzende Revue zu Ehren seines italienischen
Gastes, aber zum größten Aerger des Vaticans ab. Der ganze Be-
such besiegelte die zwischen Italien und Oesterreich eingetretene Freund-
schaft und setzte die Thatsache in's hellste Licht, daß Oesterreich allen