Mebersicht der Greignisse des Jahres 1873.
An sich sind ihr die politischen Parteien höchst gleichgültig, bloße
Werkzeuge in ihrer Hand, wenn und so weit sie sich dazu gebrauchen
lassen. In Frankreich speculiren auch alle monarchischen Parteien,
Legitimisten, Orleanisten, Bonapartisten, gleichmäßig auf ihre Beihülfe
und Unterstützung und sind daher zunächst geneigt, ihr in der Ver-
folgung ihrer spezifischen Interessen volllommen freie Hand zu lassen,
Aber Orleanisten und Bonapartisten sind beide von der modernen Zeit
mehr oder weniger angefressen und daher unzuverlässige Bundesgenossen,
nur die Legitimisten sind ein Werkzeug, wie die römische Kirche es
braucht und wünscht, sind ihr unbedingt und ohne Rückhalt ergeben.
Hat sie die Wahl, so zieht sie die Partei der Legitimisten allen an-
deren Parteien vor. Im Herbste des Jahres 1873 nun lagen die
Dinge für die römische Kirche und für die legitimistische Partei über-
aus günstig. Nach jahrelangen vergeblichen Bemühungen war es end-
lich gelungen, die Aussöhnung d. h. die Unterwerfung der jüngeren
Linie des Hauses Bourbon unter die ältere zu Stande zu bringen.
Da die Bonapartisten sich von dem furchtbaren Schlage, den sie eben
erlitten, noch nicht erholt hatten und ihr Prätendent noch zu jung
war, um schon ernstlich daran denken zu können, seine Ansprüche, auf
die er allerdings keineswegs verzichtet hat, mit Entschiedenheit gel-
tend zu machen, auch seine Partei in der Nationalversammlung, in
deren Händen für den Augenblick thatsächlich die Souveränetät lag,
zu unbedeutend war, um ins Gewicht zu fallen, stand die monarchische
Partei scheinbar einig da. Das Land war politisch in Republikaner
und Monarchisten zerspalten und wenn auch alle Wahlen darauf hin-
zudeuten schienen, daß sich das Uebergewicht der Massen mehr auf
die Seite jener neige, so hatten diese dagegen den Vortheil, daß sie
über die Majorität der Nationalversammlung geboten und durch die
Executive augenblicklich die Gewalt in ihren Händen hatten. Der
Versuch, die Republik definitiv zu beseitigen und die Monarchie wieder
aufzurichten, mußte daher, wenn überhaupt jemals, jetzt gewagt werden.
Seit vierzig Jahren war der Graf von Chambord in der Verbannung
gewesen, die Franzosen schienen ihn ganz vergessen zu haben: da winkte
ihm plötzlich der Thron so nahe, daß es fast den Anschein hatte, daß
er nur die Hand danach auszustrecken brauche, um als Heinrich V.
in das Land seiner Vorfahren zurückzukehren. Dem Muthigen gehört
die Welt und an Muth fehlte es seinen Anhängern wahrlich nicht.
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