Mebersicht der Ereignisse des Jahres 1873.
auch immer in derselben Weise, doch bald in dieser, bald in jener
Diöcese über das ganze Gebiet der preuß. Monarchie hin sich ereig-
neten, beschäftigten während der zweiten Hälfte des Jahres vorzugs-
weise die öffentliche Meinung und hielten sie in fortwährender Span-
nung. Es ist nicht zu verkennen, daß sich die preuß. Regierung in
diesem Stadium des Kampfes bis auf einen gewissen Grad in die
Defensive versetzt sah. Nur die an sich ziemlich zahlreiche, im Ver-
hältniß zu der gesammten katholischen Bevölkerung des Staates aber doch
nur kleine Minderheit der Gebildeten unter derselben stand auf ihrer
Seite; die große Mehrheit dieser Bevölkerung stand zu den Bischöfen
und ebenso bis auf völlig vereinzelte Ausnahmen der gesammte kath.
Clerus. Das Volk folgte den Bischöfen ebenso willenlos, wie diese
willenlos wieder dem Machtgebote Roms folgten. Zunächst war die
Anhänglichkeit und der Gehorsam des kath. Volkes gegenüber ihren
Bischöfen allerdings ein mehr passiver; allein schon längst waren die
Hierarchie und die ultramontane Partei durch die lebhafteste Agitation
bemüht, dieses mehr passive Verhalten durch Volksversammlungen, durch
Vereine aller Art und durch die ultramontane Presse in jeder Weise
aufzustacheln und in ein mehr actives umzuwandeln. Die Thatsache
nunmehr, daß dadurch, daß die gesetzwidrig von den Bischöfen ernann-
ten Pfarrer vom Staate nicht anerkannt wurden, die kirchliche Ord-
nung so vieler kath. Gemeinden in Verwirrung gerieth und nach und
nach in manchen ein wahrer Nothstand eintrat, entsprach ganz den
Wünschen der Hierarchie. An sich wurde das kirchliche Leben des kath.
Volkes durch den Streit zwischen Staat und Kirche in keiner Weise
berührt; durch diese Sache erst wurde das kath. Volk in immer grö-
ßeren Kreisen in den Streit hinein und in entschiedene Mitleiden-
schaft gezogen. Und das war es eben, was die Bischöfe gewünscht
hatten. Weiter wünschten sie nur noch, daß der Staat sich an ihren
Personen vergreifen, sie in's Gefängniß werfen möchte u. dgl., um
vor dem Volke vollends als Märtyrer dazustehen; entblödete sich doch
der Bischof von Paderborn bereits nicht, von einer „wahrhaft diocle-
tianischen“ Verfolgung zu sprechen. Auch zum Gefängniß für die Bi-
schöfe kam es allerdings, aber in einer etwas anderen Weise, als sie
es sich vorgestellt und als sie gewünscht hatten. Der Staat blieb fest
und ging ruhig, ohne alle Ueberstürzung, auf dem einmal betretenen
Wege weiter, so weit es ihm die bestehenden Gesetze erlaubten. Die
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