Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierzehnter Jahrgang. 1873. (14)

Mebersicht der Ereignisse des Fahres 1873. 
Verhaftung war nicht etwa durch specielle Verfügung der höchsten 
Staatsgewalt und unter Entfaltung der Militärmacht, sondern einfach 
von Seite der betreffenden Gerichtsbehörden erfolgt und es war ihnen 
nur begegnet, was anderen gewöhnlichen Menschenkindern auch begeg- 
nen kann, wenn sie die Gesetze übertreten und dafür zu Bußen ver- 
urtheilt werden, die sie nicht bezahlen können oder nicht bezahlen 
wollen. Die Welt ging darum nicht aus den Fugen und alles ver- 
lief selbst in ihren Diöcesen nachher so ziemlich wie vorher. Soweit 
allerdings das kath. Volk bereits in die ultramontane Agitation hinein- 
gezogen worden war, sah es dem, was geschah, knirschend zu, und die 
ultramontanen Blätter waren eifrig bemüht, diese Stimmung zu näh- 
ren und zu pflegen; so weit jenes dagegen nicht der Fall war, hatte 
das Volk für die Vorgänge kein rechtes Verständniß, da es sich selbst, 
die verhältnißmäßig doch nicht zahlreichen Gemeinden ausgenommen, 
in denen sog. gesperrte Geistliche amtirten, in der Befriedigung seiner 
kirchlichen Bedürfnisse auch nicht im mindesten beschränkt oder irgend- 
wie beeinträchtigt fühlte. Der Trotz der Bischöfe aber ward dadurch 
nicht im mindesten gebrochen, von Nachgeben ihrerseits war auch nicht 
im Entferntesten die Rede. Es lag klar vor, daß auf diese Weise 
nach und nach alle Bischöfe der preußischen Monarchie in's Gefäng- 
niß wandern würden. Aber auch der Staat dachte seinerseits nicht 
daran, nachzugeben. Ein Bischof, der den Gesetzen des Staates be- 
harrlichen Widerstand leistet und ausdrücklich erklärt, daß er entschlos- 
sen sei, sich denselben nicht zu unterziehen, kann nicht auf seinem 
Stuhle belassen werden. Schon die Maigesetze hatten diesen Fall vor- 
gesehen. Namentlich auch dafür war durch dieselben ein oberster kgl. 
Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten eingesetzt worden und inzwi- 
schen bereits in's Leben getreten. Bei diesem hatte die Staatsgewalt 
auf die Amtsentsetzung eines Bischofs anzutragen und er hatte darüber 
zu entscheiden. Die Einleitung zu einer solchen förmlichen gerichtlichen 
Amtsentsetzung wurden denn auch noch vor Schluß des Jahres 1873 
gegen den Erzbischof von Posen getroffen, seine Amtsentsetzung ist seit- 
her von jenem Gerichtshof wirklich ausgesprochen worden und wenn 
weder Staat noch Kirche nachgibt, so ist vorauszusehen, daß nach und 
nach auch die Amtsentsetzung gegen alle preuß. Bischöfe wird ausge- 
sprochen werden müssen und auch ausgesprochen werden wird. Die 
Verwirrung und die Nothstände aller Art, die dadurch voraussichtlich 
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