Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierzehnter Jahrgang. 1873. (14)

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Aus- 
sichten. 
Uebersicht der Ereignisse des Zahres 1873. 
Staates gegen die Ansprüche der Hierarchie energisch zu wahren, in- 
dem sie die den Bischöfen nach dem Zusammenbruch des J. 1848 
gemachten Concessionen einfach zurückzog, durch kgl. Verordnung die 
veraltete Idee der Pfarrschulen gänzlich beseitigte, die Schulen un- 
zweideutig als Sache der politischen Gemeinden anerkannte und dem 
kath. Confessionalismus dadurch entgegentrat, daß sie der Errichtung 
von Simultanschulen für die verschiedenen Confessionen jedes Hinderniß 
aus dem Wege schaffte. 
Der Kampf des Staates mit der römischen Hierarchie ist ohne 
Zweifel die größte Frage, welche das Jahr 1873 dem folgenden zu 
weiterer Fortführung überantwortet hat. Bis jetzt macht die Hierar- 
chie noch keine Miene nachgeben, oder auch nur auf ein Titelchen 
ihrer Ansprüche verzichten zu wollen. Aber auch der Staat, Preußen 
voran, scheint entschlossen, die große Frage durchzufechten und zum 
endlichen Abschlusse zu bringen, überzeugt wie er ist, daß die wahren 
Interessen der Kirche dadurch nicht verlieren, sondern nur gewinnen 
werden. Es ist nicht abzusehen, wie auf diesem Gebiete und in dieser 
Frage ein Compromiß irgend welcher Art sollte erfolgen können. Die 
Frage ist von beiden Seiten principiell gestellt und das Princip von 
beiden so klar und nett formulirt worden, daß gar nichts anderes 
übrig zu bleiben scheint, als daß sich entweder die Kirche in allem, 
was an ihr dieser Welt angehört, unter den Staat und die Gesetze 
des Staates beuge, oder daß der Staat wieder und zwar dießmal 
gänzlich unter die Botmäßigkeit der Kirche zurück sinke. Das letztere 
ist ganz und gar unwahrscheinlich. Die Zeiten sind andere geworden, 
als diejenigen waren, auf deren Anschauungen Rom seine Ansprüche 
stützt. Die Kirche ist nicht mehr dieselbe und der Staat nicht: die 
Waffen der ersteren sind alt und rostig geworden, während die Macht- 
mittel und das Bewußtsein des letzteren unendlich gewachsen sind. Wenn 
der Staat festhält und sich vor Mißgriffen, die allerdings nahe liegen, 
hütet, so wird er sein Ziel schließlich erreichen, wenn sich der Kampf 
auch noch so sehr in die Länge ziehen sollte. In Deutschland bilden 
die Ultramontanen nur eine verhältnißmäßig schwache Minderheit, die 
gegen die Mehrheit und die Regierungen, sobald sie fest zusammen- 
halten, nicht aufkommen kann. Der passive Widerstand, den die Bi- 
schöfe in's Werk gesetzt haben, wird in sich selbst erlahmen und keinen 
Erfolg zurücklassen, als daß die kath. Kirche Deutschlands durch ihn
	        
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