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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
unmöglich machte. Man könnte das Erforderniß aufstellen, daß der Reichs-
kanzler Mitglied des Ministeriums eines andern bedeutenden Bundesstaats
sei, denn in Preußen ist der Personalzusammenhang der königlich preußischen
und der kaiserlichen Krone doch ohnehin gegeben und unzertrennbar. Aber
auch der Zusammenhang zwischen dem Reichskanzler und dem preußischen
Ministerium würde dadurch ja in keiner Weise gestört werden, daß der
Erstere vollständig aufhört, Mitglied des preußischen Ministeriums zu sein.
Wie ist der Geschäftsbetrieb im Bundesrathe: Die Faktoren, welche den
Haupteinfluß auf die Vorbereitung der Vorlagen für den Reichstag haben,
sind die Ausschüsse des Bundesraths. In jedem dieser Ausschüsse hat, wenn
S. M. der Kaiser es nicht ausdrücklich anders befiehlt, der preußische Mi-
nister des betreffenden Ressorts oder einer der höchsten Vertrauensbeamten
des Ministeriums den Vorsitz. In der Sitzung des Bundesrathes findet sich
wieder das preußische Ministerium in seiner Majorität zusammen und arbeitet
dort und in seinen Ausschüssen unter Vorsitz des Reichskanzlers mit den
übrigen Ministern. Die Bänder, die beide Organisationen aneinander be-
festigen sind also viel stärker, als man äußerlich anzunehmen pflegt. Wenn
der Reichskanzler nothwendig das Vertrauen S. M. des Kaisers haben muß,
wenn er sich des Vertrauens der Mehrheit der Regierungen, die im Bundes-
rath vertreten sind, versichert, wenn er dabei das Vertrauen der Mehrheit
des Reichstages zu gewinnen weiß, so ist dadurch eine Lage gegeben, bei der
Sie viel eher sich im preußischen Ministerium erkundigen können: Verliert
ihr auch nicht die Fühlung mit dem Reichskanzler? als daß Sie Veran-
lassung haben, den Reichskanzler zu fragen: Verlierst Du auch nicht die
Unterstützung des preußischen Ministeriums? Der Reichskanzler kann ein
Gewicht durch andere Elemente gewinnen, welches viel stärker ist als die
Disposition über die 17 preußischen Stimmen, und daß ihm die entgehen
sollten, so lange er der Haupt-Vertrauensmann S. M. des Keisers ist, ist
eigentlich kaum denkbar. Dieß würde immer zu einem Wechsel in der Person
des Reichskanzlers oder zu einem Wechsel in den Personen des preußischen
Ministeriums führen müssen. Mein Bleiben in dem jetzigen preußischen
Cabinet, in der Eigenschaft als Mitglied, wenn auch nicht als Vorsitzender,
beweist, daß mein Entschluß sich nicht geändert hat, dieses preußische Mini-
sterium gerade in derselben Weise mit meinen Kräften zu unterstützen, als
ob ich sein Vorgesetzter wäre, nur mit etwas weniger Arbeit als früher,
und ich muß leider sagen, mit etwas weniger unfruchtbarer Arbeit wie
früher. Wenn der Wechsel in den Personalverhältnissen des Ministeriums
einen Wechsel in der Richtung und in einer meiner früheren Politik feind-
lichen Richtung bedeutet hätte, würde keine Macht der Welt mich haben be-
wegen können, meine Antecedentien von zehn Jahren zu verleugnen und,
nur etwa um auswärtiger Minister zu bleiben, diesem selben Cabinet anzu-
gehören. Was den Etat des auswärtigen Ministeriums selbst betrifft, so
glaube ich, es würde Ihnen nicht nur aus dem nationalen Gesichtspunkt
erleichtert, diesen Positionen zuzustimmen, sondern es würde auch eine viel
richtigere und sachlichere Bezeichnung sein, wenn man dieses Ministerium
statt „auswärtiges Ministerium“ „Ministerium für die Reichsangelegenheiten“
oder „für die deutschen Angelegenheiten" nennen würde. Die Bearbeitung
des Zusammenhanges des preußischen Staates mit dem deutschen Reiche ist
immer für Preußen territorial eine äußere Angelegenheit, insofern als dies
Verhältnisse berührt, die die preußischen Grenzen überschreiten. Ich gebrauche
diesen Ausdruck mit einem gewissen Widerwillen, weil ich gewohnheitsmäßig
dafür halte, daß auswärtige Angelegenheiten in Deutschland nie anders sein
sollten, wie jenseits der deutschen Grenzen. (Bravo !) Es muß meines Er-
achtens, mag es nun der Reichskanzler sein oder ein anderer, im preußischen
Ministerium einen Minister geben, dessen Aufgabe es vorzugsweise ist, den
Zusammenhang mit dem Reich innerhalb des preußischen Ministeriums zu