Das deutsche Reich und feine einzelnen Glieder. 63
ihren nach vielen Millionen zählenden Bekennern im Königreiche Preußen
und im deutschen Reiche den Frieden der Reichtssicherheit und der allgemeinen
Freiheit zurückzugeben und uns nicht zwangsweise Gesetze aufzulegen, deren
Beobachtung für jeden Bischof unvereinbar mit den von ihm beschworenen
Amtspflichten und für ihn sowohl als für jeden Priester und jeden Katho-
liken mit seinem Gewissen in Widerspruch, moralisch unmöglich ist, deren
gewaltsame Durchführung aber namenloses Unglück über unser treues katho-
lisches Volk und unser geliebtes Vaterland bringen würde.“
Gleichzeitig richtet der gesammte Episcopat eine Adresse an den
Kaiser und König, mit der Bitte, die Zurückziehung der Gesetzesent-
würfe zu befehlen oder, wenn dieß nicht angänglich sein sollte, den
von beiden Häusern angenommenen Vorlagen die allerh. Sanction zu
verweigern,
„da die Grundsätze unseres heiligen Glaubens uns katholischen Bischöfen
sowie den Priestern und den Gläubigen, je nachdem dieselben hiervon be-
troffen werden, nicht gestatten würden, aus freien Stücken derartigen Gesetzen
sich zu unterwerfen, dieselben anzuerkennen und zu befolgen."
30. Jan. (Württemberg.) II. Kammer: Debatte über die Regierungs-
antwort auf die (particularistische) Interpellation Oesterlen (s. 24. Jan.)
und den (nat.-lib.) Antrag Hölder und Genossen, sich für die Aus-
dehnung der Reichsgesetzgebungs-Competenz, für Herstellung eines allg.
deutschen Civilgesetzbuches und für Errichtung eines obersten Reichs-
gerichtshofes sowie für Erhaltung der Schwurgerichte auszusprechen.
Die Anträge Hölder werden sämmtlich angenommen, die drei ersten
mit 58 gegen 22, der letzte mit 62 gegen 17 Stimmen.
31. „ (Preußen.) Abg.-Haus: Erste Berathung der Verfassungsver-
änderung in Folge der 4 Kirchengesetze: erste und zweite Lesung des
Antrags der Commission (s. 23. Jan.). Referent Gneist. Es wer-
den zahlreiche Amendements zu dem Antrage eingebracht, jedoch sämmt-
lich verworfen und die beiden Verfassungsartikel nach dem Antrage
der Commission mit 262 gegen 117 und mit 255 gegen 114 Stim-
men angenommen. Die Minderheit bilden das Centrum, die Polen
und ein Theil der Feudal-Conservativen.
Debatte: Windthorst (Meppen): Keine Bestimmung der preußischen
Verfassung ist bedeutungsvoller gewesen, keine hat so zum Frieden im Lande
gedient, keine so viel Sympathien mit Preußen erweckt, als Art. 15. Meine
Freunde aus Süddeutschland hat gerade der Inhalt dieses Artikels ausge-
söhnt mit Allem, was in der neuesten Zeit geschehen ist. Auf ihr Andringen
ist auch im Reichstag der Versuch gemacht worden, diesen Grundsätzen auch
in der Reichsverfassung Anerkennung zu verschaffen. Leider ist dieser Ver-
such mißlungen. Art. 15 würde auch heute noch die Basis sein für den
Ausgleich aller der großen Schwierigkeiten, welche jetzt in Preußen und im
deutschen Reiche existiren, und Allen, welchen der Frieden im deutschen Reiche
am Herzen liegt, rufe ich zu: Nehmen Sie diese Basis nicht; es ist die ein-
zige, au der wir uns die Hände reichen können. Nehmen Sie diese Gesetze
an, dann beginnt ein Kampf, dessen Ende ich nicht absehen kann. Dann
werden es allerdings beide Confessionen sein, über die eine schwere Zeit
hereinbricht; sie werden die alleräußersten Bedrückungen, Verfolgungen und
Schädigungen erfahren; darüber täusche ich mich nicht; aber Sie werden