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Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
des Fürsten Putbus und „anderer Abenteurer“. Ueberall warf er grelle
Schlaglichter auf die Verwaltung von Itzenplitz, dessen Ehrlichkeit er nicht
bezweifelt, den er aber als unfähig und in unbekannte Gebiete hineinge-
taumelt darstellt. Unter lebhaftem Beifall verlangte Lasker auf Grund des
Artikels 82 der Verfassung („Ein jedes Haus des Landtages hat die Be-
fugniß, behufs seiner Information, Commissionen zur Untersuchung von
Thatsachen zu ernennen") Niedersetzung einer Untersuchungscommission. Roon
schnitt dem gleichfalls aufgestandenen Minister Itzenplitz das Wort ab und
sagte, was er unter den obwaltenden Verhältnissen allein sagen konnte: Alles
von Lasker vorgebrachte Erhebliche sei ihm neu; wenn er die Ueberzeugung
der Richtigkeit hätte, würde er den Brief nicht geschrieben haben. Weitere
Untersuchungen sagte er zu. Nun trat Itzenplitz auf. Er vertheidigte sich
gegen Dinge, welche Lasker nicht behauptet hatte, und brachte so Unerheb-
liches vor, daß das Haus zuerst ihn murrend unterbrach und dann sich
Privatgesprächen überließ, welche die weitere Rede des Ministers völlig un-
verständlich machten. Derart hat niemals das Abgeordnetenhaus einen Mi-
nister behandelt. Bezeichnend ist es, daß, als Itzenplitz zu sprechen begann,
alle Minister aufstanden und hinausgingen.
Die öffentliche Meinung ist einstimmig der Meinung, daß Lasker sich
durch seine muthigen Enthüllungen um den Staat wohl verdient gemacht
habe, daß es höchste Zeit sei, dem Schwindel ein Ende zu machen und daß
der Regierung gar nichts anderes übrig bleibe, als dem entrüsteten öffent-
lichen Gewissen freie Bahn zu machen, auch gegenüber den höchstgestellten
Schuldigen, wie gegen den Geh. Rath Wagener, den ersten vortragenden
Rath im Staatsministerium. Die Stellung des Handelsministers Grafen
Itzenplitz aber ist nach dieser Sitzung völlig unhaltbar geworden.
8. Febr. (Preußen.) Das Staatsministerium beschließt in Folge der
neuen Enthüllungen Lasker's bez. der Schwindeleien des Geh. Raths
Wagener mit Eisenbahnconcessionen das der förmlichen Disciplinar-
untersuchung vorangehende sog. Scrutinalverfahren gegen denselben
einzuleiten.
„ (Preußen.) Abg.-Haus: Lasker beantragt die Niedersetzung einer
Eisenbahnuntersuchungs-Commission von Seite des Hauses und daß
die Staatsregierung zur Mitwirkung bei dieser Untersuchung einge-
leitet werde.
Der Antrag ist unzweifelhaft nicht bloß gegen Wagener etc., sondern
namentlich auch gegen die Geschäftsgebahrung des Handelsministers in dieser
Materie gerichtet.
9. „ (Preußen.) Abg.-Haus: Die nat.-liberale Fraction beschließt,
obgleich die Eisenbahncommission mit allen gegen 2 Stimmen die An-
nahme des Gesetzesentwurfs betr. Aufnahme einer Anleihe von 120
Millionen Thlrn. zur Erweiterung des Staatseisenbahnwesens empfiehlt,
dieses Gesetz dem jetzigen Handelsminister, Grafen Itzenplitz, nicht zu
bewilligen.
9. u. 10. Febr. (Baden.) Große Altkatholiken-Versammlung in Con-
stanz, an der sich auch die benachbarte Schweiz zahlreich betheiligt.
Die Redner sprechen sich energisch gegen die päpstliche Unfehlbarkeit
und für die Bildung altkatholischer Gemeinden aus; die Versammlung
ertheilt den vorgeschlagenen Resolutionen durch Aufheben der Hände
ihre Zustimmung. In der Gemeinde Constanz wird über die An-