78 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder.
20. Febr. (Preußen.) Abg.-Haus: Der Finanzminister theilt dem Hause
mit, daß die Ueberschüsse der Staatsrechnung für 1872, deren Ab-
schluß indeß erst Mitte März erfolgen könne, zum mindesten 20 Mill.
Thlr. betragen, diese Summe aber wahrscheinlich sehr erheblich über-
steigen würden, und beantragt, zusammen 20 ½ Mill. Thlr. zu außer-
ordentlicher Schuldentilgung im Jahre 1873 zu verwenden. Der
Finanzminister fügt bei, daß er von sämmtlichen Crediten, die der
Staatsregierung zur Disposition gestellt worden, bis zum heutigen
Tage noch nicht für einen einzigen Thaler Gebrauch gemacht habe.
Das Haus genehmigt den Gesetzesentwurf betr. die Dotation der
Provinzialverbände in der von der Commission vorgeschlagenen
Fassung.
§ 1 lautet demnach: „Aus den Einnahmen des Staatshaushalts wird
1) zur Ausstattung der Provinzialverbände von Preußen, Brandenburg,
Pommern, Posen, Schlesien, Sachsen, Schleswig-Holstein, Westfalen und
der Rheinprovinz, sowie des Stadtkreises Frankfurt a. M., der hohenzollern-
schen Lande und des Jahdegebiets mit Fonds zur Selbstverwaltung die Summe
von jährlich zwei Millionen Thalern, und 2) zur sofortigen und unmittel-
baren Gewährung von Fonds für die Durchführung der Kreisordnung, ins-
besondere zur Bestreitung der Kosten des Kreisausschusses und der Amts-
verwaltung in den Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien
und Sachsen, sowie zur Ausstattung der übrigen Provinzen und Landestheile
mit gleichartigen Fonds für die Durchführung der zu erlassenden ähnlichen
Gesetze, die Summe von jährlich einer Mill. Thalern vom 1. Januar 1873
ab zur Verfügung gestellt.“
21. „ (Sachsen.) II. Kammer: erklärt sich, gegen die beabsichtigte
Reichsstrafproceßordnung, mit 116 gegen 17 Stimmen für Beibehal-
tung der Schwurgerichte.
„ (Hessen.) II. Kammer: Die Abgg. Mülberger, Matty und
Gebhard bringen folgenden Antrag gegen das confessionelle Schul-
wesen ein:
„In Erwägung, daß die Erziehung der Jugend in nach Confessionen
getrennten Schulen durch Lehrer und Geistliche, welche in nach Confessionen
getrennten Anstalten ihre Bildung erhalten haben, nicht dazu dienen kann,
den confessionellen Frieden und das Bewußtsein der untrennbaren Zusam-
mengehörigkeit zu einem Volke zu fördern, vielmehr eine Gegenüberstellung
folgeweise eine Anfeindung der verschiedenen Confessionsgemeinschaften erzeugen
muß, dadurch aber der Staat in Erreichung seiner Zwecke gefährdet ist und
das zu erstrebende Ziel der Ausgleichung confessioneller Gegensätze immer mehr
entfernt wird; in weiterer Erwägung, daß die unbestreitbar von ultramon-
taner Seite begünstigte Absonderung der Confessionsangehörigen bereits viel-
fach in's bürgerliche Leben übertragen worden und die Entwicklung unserer
staatlichen Verhältnisse hindert; in endlicher Erwägung, daß diesen sich kund-
gebenden Uebeln nur allein dadurch gesteuert werden kann, daß man die Ur-
sache, das ist, die confessionsweise Erziehung des Volkes, die Absonderung der
Jugend nach ihren Confessionen, die einseitige Heranbildung der Lehrer und
Geistlichen zu Confessionszwecken beseitigt — stellen wir den Antrag: die
Kammer wolle Großherzogliche Regierung ersuchen, einen Gesetzentwurf vor-
zulegen, welcher die Bestimmung hat, 1) die früher in Gießen bestandene
katholisch-theologische Facultät wiederherzustellen und keinen katho-
lischen Geistlichen zur Anstellung und Amtsausübung gelangen zu lassen,