Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. 91
Frankreich eine Uebereinkunft getroffen, welche die Fristen für die Zahlung
des letzten Theiles der Kriegskosten-Entschädigung und, im Zusammenhange
damit, für die Räumung der von Unseren Truppen besetzten Gebietstheile
regelt. Die Ihnen über diese Uebereinkunft und deren Ausführung zu
machenden Mittheilungen werden zeigen, daß Frankreich mit seinen Zahlungen
den verabredeten Terminen weit vorausgeeilt und daß daher der Zeitpunkt ge-
kommen ist, um die in dem vorjährigen Gesetze über die Kriegskosten-Ent-
schädigung noch vorbehaltenen Fragen zu entscheiden. Auch über diese Fragen
werden Ihnen Vorlagen gemacht werden. Das von Mir im vergangenen
Jahre an dieser Stelle ausgesprochene Vertrauen auf eine Entwicklung der
inneren Zustände Frankreichs im Sinne der Beruhigung und der wirthschaft-
lichen Fortschritte ist nicht getäuscht worden. Ich begründe hierauf die Hoff-
nung, daß der Augenblick nicht mehr fern sein werde, wo die vollständige
Abwicklung unserer finanziellen Auseinandersetzung mit der französischen
Regierung die gänzliche Räumung des französischen Gebietes früher, als in
Aussicht genommen war, herbeiführen wird. Die Beziehungen des Reiches
zu allen auswärtigen Staaten rechtfertigen das volle Vertrauen, mit
welchem Ich auf die Erhaltung und die fortschreitende Befestigung des
Friedens rechne. Dieses Mein Vertrauen schöpft seine volle Berechtigung
aus Meinen freundschaftlichen Beziehungen zu den Herrschern der mächtigen
Nachbarreiche Deutschlands, welche ihre Bestätigung und Kräftigung durch
den Besuch erhalten haben, der Mir von Seiten der Mir so nahe befreun-
deten mächtigen Monarchen vor wenig Monaten zu Theil geworden ist.
Diese den Frieden verbürgenden Beziehungen zu unseren Nachbarn zu pflegen,
werde Ich fortgesetzt als Meine erwünschte und mit Gottes Hilfe erfüllbare
Aufgabe ansehen.“
Der Reichskanzler übergibt dem Reichstag eine Nachweisung über
die französische Kriegsentschädigung.
Danach hat Frankreich bis jetzt 3½ Milliarden oder einschließlich der
Zinsen und besonderer kleinerer Kriegscontributionen 1,075,972,531 Thaler
an Deutschland bezahlt. Nach Abzug des Kaufpreises für die elsaß-lothrin=
gischen Bahnen bleiben 989 Millionen Thaler übrig. Hievon hat das Reich
bereits durch Gesetze (für Kriegsschäden, Dotationen, Kriegsschatz, Betriebs-
fonds, Festungen im Elsaß, Eisenbahnbetriebsmittel) für seine Zwecke 280
Millionen angewiesen. Nach Abzug dieser Summe und 4¼ Millionen für
besondere Zwecke Norddeutschlands sind 698 Millionen Thaler verfügbar
geblieben. Obwohl nach dem vorjährigen Gesetze diese ganze Summe an die
Einzelstaaten hätte vertheilt werden müssen, sind bis jetzt doch nur etwa
500 Millionen Thaler vertheilt worden. Der Bericht des Reichskanzlers
besagt nicht, ob die hierunter an Norddeutschland entfallenden 400 Millionen
haben vollständig zur Deckung norddeutscher Kriegskosten verwendet werden
müssen, oder ob ein Theil hiervon für Norddeutschland zur Vertheilung an
die Einzelstaaten noch verfügbar ist. Von den 198 in der Reichskasse zurück-
gebliebenen Millionen sind 25 Millionen den Münzanstalten zur Goldaus-
prägung vorgeschossen worden, 52½ Millionen in inländischen Wechseln und
Londoner Wechseln einschließlich der in London einkassirten Beträge angelegt,
28¾ Millionen in Lombarddarlehen und sächsischen Schatzanweisungen, wäh-
rend für 25 ½ Millionen Thaler Effecten angekauft worden sind. Mit der
letzteren Anlage hat der Reichskanzler eigentlich seine Befugnisse überschritten
und den Beschlüssen des Reichstages in Bezug auf Bildung des Invaliden=
fonds vorgegriffen. Man hat sich zudem nicht damit begnügt, bloß Staats-
papiere anzukaufen, sondern auch zum Vortheil der Rittergutsbesitzer in den
östlichen Provinzen für 5½ Millionen Thaler Pfandbriefe und außerdem
für 9½ Millionen Eisenbahnprioritäten angekauft. Süddeutsche Effecten
partizipiren an diesen Ankäufen mit 8 Millionen Gulden. Die vorläufige