Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

86 DHos deutsche Reich und srine rinzelnen Glieder. (März 10—12.) 
gegen dieses Blatt zu erheben. Jeht aber vertheidige Herr Mühlhäusfer 
dasselbe Ministerium. Deutlicher könne nichts beweisen, wohin wir bereits 
gekommen seien. Es fei heute von Gespenstern gesprochen worden. Ja, aber 
diese gingen am hellen Tage um. Trohzdem woͤlle er nicht Alles glauben, 
was man sich erzähle. So namenilich z. B. nicht, daß an allerhöchster 
Stelle Einflüsse udnn seien über die Köpfe der Minister hinweg. Er dürfe 
wohl auch darauf hinweisen, wie Minister v. Stößer ins Amt gekommen 
sei. Dieß sei geschehen kurz nach feinem demonstrativen Austritt aus der 
bationaliberalen Fraction und die Vermuthung liege nahe, daß Herr 
v. Stößer nur ausgetreten sei, um Minister werden zu können. Der Prä- 
sident erklärt, solche Unterstellungen dürfe man Niemanden machen. Abg. 
Fieser will sich bei diesem Punct nicht länger aufhalten, sondern nur noch 
darauf hinweisen, daß sich die angekündigte Veränderung der Methode des 
Ministeriums in den Prehmahregskungen gezeigta welche die Befürchtung 
wachriefen, daß noch mehr nachkommen werde. Der Vercchterltaier empfiehlt 
die Annahme des Antrages, weil derselbe offen das Mißtrauen gegen Mini- 
sterialpräsident Stößer ausspreche und ebenso die Fortdauer des Vertrauens 
zu Staatsminister Turban. Der Antrag der Commission in Bezug auf die 
Budgetposition wird mit großer Mehrheit genehmigt und dann der Antrag 
Kiefer mit 28 gegen 19 Stimmen angenommen; 7 Mitglieder enthalten sich 
der Abstimmung:; die Abgg. Stößer und Lamey nehmen an der Abstimmung 
nicht Theil; 5 Mitglieder fehlen. 
10. März. (Elsaß-Lothringen.) Ein Conflict zwischen 
dem Statthalter v. Manteuffel und dem Staatssecretär von Elsaß= 
Lothringen Herzog endigt mit einem Siege des ersteren: Nach neuerer 
Anordnung geht der Verkehr der obersten Reichsbehörden mit der 
Regierung von Elsaß-Lothringen nicht mehr zu Händen des Staats- 
secretärs, sondern zu denen des Statthalters. 
11. März. (Deutsches Reich.) Reichstag: Erste Lesung der 
Brausteuervorlage. Der Antrag auf Ueberweisung an eine Com- 
mission wird abgelehnt und die zweite Berathung im Plenum be- 
schlossen. Die Ablehnung der ganzen Vorlage gilt als ziemlich sicher. 
12. März. (Deutsches Reich.) Bundesrath: genehmigt das 
Wuchergesetz nach den Anträgen des Justizausschusses mit einigen 
Abänderungen zur Vorlage an den Reichstag und nimmt den Antrag 
an, die Zollaversen für die Hansestädte von 3 auf 5.X7 zu erhöhen. 
Der Gesetzentwurf betr. den Wucher lautet nunmehr: Art. 1. 
Hinter den § 302 des Strafgesehbuchs für bas deutsche Reich werden die 
solgenden neuen §§ 302a, 302b, 302c, 302d eingeslellt: § 302a. Wer 
unter Ausbeutung der Nothlage, des Liichtsinns oder der Unerfahrenheit 
eines Andern für ein Darlehen oder im Falle der Stundung einer Geld- 
forderung sich oder einem Dritten Vermögensvortheile versprechen oder ge- 
währen läßt, welche den üblichen Zinsfuß dergestalt überschreiten, daß nach 
den Umständen des Falles die Vermögensvortheile in auffälligem Mißwer- 
hältnisse zu der Leistung stehen, wird wegen Wuchers mit Gefängniß bis zu 
sechs Monaten und zugleich mit Geldstrafe bis ½ dreitausend Mark bestraft. 
Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. §8 302b. 
Wer sich oder einem Dritten die wucherlichen Vermögensvortheile (8 302a)