34 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Febr. 4.)
4. Februar. (Bayern.) II. Kammer: die ultramontane und
orthodox- protestantische Mehrheit derselben lehnt ihren Beitritt zu
dem vermittelnden Beschluß der I. Kammer v. 24. v. M. in der
Simultanschulfrage ab und setzt demselben in erster Beratung einen
neuen Antrag wider diese Schulen entgegen.
Luthardt (orthodox-protest.) bringt gegen den Beschluß der I. Kammer
den modifizierenden Antrag ein, an den König die Bitte zu richten: Seine
Majestät wolle im Landtagsabschied mit Gesetzeskraft aussprechen: die Volks-
schule ist Konfessionsschule; die Bewohner einer Gemeinde ohne Schule ihrer
Konfession sind zur Benutzung der benachbarten Schule ihrer Konfession be-
rechtigt, sofern nicht die Raumverhältnisse es verbieten. Für die Pfalz
sind außerdem die Bestimmungen des Landratsabschieds vom Jahre 1818
maßgebend. Der Antragsteller motiviert diesen Antrag damit, daß derselbe
das, was der Beschluß der ersten Kammer auf dem Wege der Verordnungs-
revision schaffen wolle, gesetzlich flatuiere, in Übereinstimmung mit dem
Passus im Beschlusse der ersten Kammer, daß die Konfessionsschule die ge-
setzliche Regel zu bilden hat. Die Volksvertretung habe die Pflicht, auf
eine gesetzliche Regelung zu dringen. Die Simultanschulverordnung, welche
so viel Unfrieden gestiftet und das Haus schon so vielfach beschäftigt habe,
stamme aus dem Jahre 1873, dem Jahre der Kulturkampfblüte. Im Mai
dieses Jahres seien die preußischen Kirchengesetze erschienen, allein der Ver-
such der vermeintlichen Staatsgewalt, die Kirche und nicht bloß die katho-
lische unschädlich zu machen, sei gescheitert. Vor ein paar Wochen habe der
Reichstag Gericht gehalten über diese Kulturkampfgesetzgebung: der Vater
derselben sei auf der Abgeordnetenbank gesessen und habe kein Wort ge-
sprochen. Schweigend habe derselbe es angehört, wie sein Werk verurteilt
worden sei und seine zahlreichen Gehilfen. Die Gehilfen seiner Kirchen-
und Schulpolitik, welche früher so redselig gewesen, ließen ihn im Stiche.
Die Blüte des Kulturkampfes sei vorbei, die Früchte desselben seien wurm-
stichig und faul. Auch die Verordnung vom Jahre 1873 sei zur Zeit des
Kulturkampfes erschienen und auch ihre Stunde habe geschlagen. Abgeordn.
v. Hörmann (lib.) weiß, daß alles, was er sage, auf die Beschlußfassung
der Mehrheit ohne Wirkung bleibe, weil alles schon abgemacht sei; allein
die Linke habe trotzdem die Pflicht, ihren Standpunkt auszusprechen und zu
wahren. Seiner Ansicht nach sei die Simultanschule die Schule der Zukunft.
(Widerspruch rechts.) Das Gerede von dem Unfrieden, der durch die frag-
liche Verordnung in das Land getragen worden sein solle, entbehre der tat-
sächlichen Begründung und sei vielfach künstlich gemacht. Von diesem Stand-
punkte aus könne er sich weder einverstanden erklären mit dem Beschlusse
der Kammer der Reichsräte noch mit dem Antrage Luthardt. Ersterer ent-
spreche insoweit seinen persönlichen Empfindungen, als derselbe den Grund-
satz der Vorsicht bei Einführung von Simultanschulen noch schärfer betone
als die Verordnung vom Jahre 1873; allein einige andere Punkte dieses
Beschlusses seien höchst bedenklich, so z. B., daß die Errichtung neuer Si-
multanschulen von der Zustimmung der geistlichen Oberbehörden abhängig
gemacht werden solle. Hierdurch würde das Recht des Staates an der Schule
teilweise an die Kirche ausgeliefert. (Widerspruch rechts.) Man möge ihm
das vielleicht von Seiten der Rechten zum Vorwurfe machen, allein er sei
kein Abgeordneter einer Kirche, sondern Abgeordneter des Volkes. Minister-
präsident und Kultminister v. Lußz erklärt: Der Antrag Luthardt sei
ein Rückschritt hinter das Jahr 1818 und kein Kultminister könnte den-