Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dritter Jahrgang. 1887. (28)

Krantreich. (Novbr. 21.—Dezbr. 3.) 353 
Der Umschwung der öffentlichen Meinung macht endlich auch Grévy 
wieder schwankend, am 1. Dezbr. empfängt er die zur Beratung im Elysse 
erscheinenden Minister mit den Worten: „Ich hatte gedacht, Ihnen Lebewohl 
zu sagen, nun aber sage ich: auf Wiedersehen!“ Die Minister verlassen ihn 
hierauf sofort und schicken aufs neue ihre Entlassung. Nach der Mitteilung 
in der Kammer, daß der Präfident seinen Entschluß zurückzutreten geändert 
und das Ministerium, welches nur im Amte geblieben sei, um für die Ord- 
nung während des Kongresses zu sorgen, aufs neue die Entlassung gefordert 
habe, eine Botschaft des Präsidenten der Kammer nicht zugehen werde, be- 
schließen diese — der Senat mit 264 gegen 5, die Kammer mit 531 gegen 
3 Stimmen — sich bis zum Abend zu vertagen, um eine Mitteilung des 
Präfidenten zu empfangen. Hierauf lehnt Grévy die Entlassung des Mini- 
steriums ab und erklärt, am nächsten Tage den Kammern eine Botschaft 
zugehen lassen zu wollen. 
Am folgenden Nachmittage 2½ Uhr verlesen die Präfidenten des 
Senats und der Kammer in beiden Häufern die folgende Botschaft Grévys: 
„Meine Herren Deputierten! Solange ich nur diejenigen Schwierig- 
keiten, welche sich in der letzten Zeit auf meinem Wege angehäuft, zu über- 
winden hatte, wie die Angriffe in der Presse, das Fernhalten der Männer, 
welche die Stimme der Republik an meine Seite berufen, die wachsende Un- 
möglichkeit, ein Ministerium zu bilden, so lange habe ich gekämpft und bin 
ich geblieben, wo meine Pflicht mich festhielt. In dem Augenblicke aber, 
wo sich in der erleuchtetern öffentlichen Meinung ein Umschlag kundgab, der 
mich hoffen ließ, eine Regierung bilden zu können, haben nun Senat und 
Deputiertenkammer beide einen Beschluß gefaßt, der unter der Form der 
Vertagung auf eine festgesetzte Stunde, um eine versprochene Botschaft zu 
erwarten, einer Aufforderung an den Präsidenten der Republik gleichkam, 
sein Amt niederzulegen. Meine Pflicht und mein Recht wären, Widerstand 
zu leisten; aber unter den obwaltenden Umständen könnte ein Streit zwischen 
der ausübenden Gewalt und dem Parlament Folgen haben, die mich davon 
zurückhalten. Weisheit und Vaterlandsliebe gebieten mir, zu weichen. Ich 
überlasse denjenigen, die sie auf sich nehmen, die Verantwortlichkeit für ein 
solches Vorgehen und für die Ereignisse, die ihm folgen können. Ich scheide 
daher ohne Bedauern, aber nicht ohne Trauer aus dem Amte, zu welchem 
ich zweimal erhoben worden bin, ohne mich darum beworben zu haben, und 
in welchem ich mir bewußt bin, meine Pflicht gethan zu haben. Ich berufe 
mich auf Frankreich; es wird sagen, daß neun Jahre hindurch meine Re- 
gierung ihm den Frieden, die Ruhe und die Freiheit gesichert, daß sie ihm 
Achtung verschafft hat in der Welt, daß sie unermüdlich an seiner Erhebung 
earbeitet und es inmitten des bewaffneten Europas in den Stand gesetzt 
bat, seine Ehre und seine Rechte zu verteidigen, daß sie endlich im Innern 
die Republik auf den Wegen der Weisheit zu erhalten gewußt hat, welche 
das Interesse und der Wille des Landes ihr vorschrieben; es wird sagen, 
daß ich zur Vergeltung dafür noch einmal zu dem Amte erhoben worden 
bin, zu dem sein Vertrauen mich berufen hatte. Indem ich aus dem poli- 
tischen Leben scheide, habe ich nur noch einen Wunsch: daß die Republik 
von den gegen mich gerichteten Schlägen nicht mitbetroffen werden und aus 
den Eefahr, die man ihr bereitet, siegreich hervorgehen möge. Ich lege 
meinen Abschied von dem Amte des Präsidenten der französischen Republik 
auf den Tisch der Deputiertenkammer nieder. 
Geg. den 1. Dezember 1887. 
Der Präsident der französischen Republik, 
Jules Grépy.“ 
Europ. Geschichtskalender. XXVIII. Bd. 23 
 
	        
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