Krantreich. (Novbr. 21.—Dezbr. 3.) 353
Der Umschwung der öffentlichen Meinung macht endlich auch Grévy
wieder schwankend, am 1. Dezbr. empfängt er die zur Beratung im Elysse
erscheinenden Minister mit den Worten: „Ich hatte gedacht, Ihnen Lebewohl
zu sagen, nun aber sage ich: auf Wiedersehen!“ Die Minister verlassen ihn
hierauf sofort und schicken aufs neue ihre Entlassung. Nach der Mitteilung
in der Kammer, daß der Präfident seinen Entschluß zurückzutreten geändert
und das Ministerium, welches nur im Amte geblieben sei, um für die Ord-
nung während des Kongresses zu sorgen, aufs neue die Entlassung gefordert
habe, eine Botschaft des Präsidenten der Kammer nicht zugehen werde, be-
schließen diese — der Senat mit 264 gegen 5, die Kammer mit 531 gegen
3 Stimmen — sich bis zum Abend zu vertagen, um eine Mitteilung des
Präfidenten zu empfangen. Hierauf lehnt Grévy die Entlassung des Mini-
steriums ab und erklärt, am nächsten Tage den Kammern eine Botschaft
zugehen lassen zu wollen.
Am folgenden Nachmittage 2½ Uhr verlesen die Präfidenten des
Senats und der Kammer in beiden Häufern die folgende Botschaft Grévys:
„Meine Herren Deputierten! Solange ich nur diejenigen Schwierig-
keiten, welche sich in der letzten Zeit auf meinem Wege angehäuft, zu über-
winden hatte, wie die Angriffe in der Presse, das Fernhalten der Männer,
welche die Stimme der Republik an meine Seite berufen, die wachsende Un-
möglichkeit, ein Ministerium zu bilden, so lange habe ich gekämpft und bin
ich geblieben, wo meine Pflicht mich festhielt. In dem Augenblicke aber,
wo sich in der erleuchtetern öffentlichen Meinung ein Umschlag kundgab, der
mich hoffen ließ, eine Regierung bilden zu können, haben nun Senat und
Deputiertenkammer beide einen Beschluß gefaßt, der unter der Form der
Vertagung auf eine festgesetzte Stunde, um eine versprochene Botschaft zu
erwarten, einer Aufforderung an den Präsidenten der Republik gleichkam,
sein Amt niederzulegen. Meine Pflicht und mein Recht wären, Widerstand
zu leisten; aber unter den obwaltenden Umständen könnte ein Streit zwischen
der ausübenden Gewalt und dem Parlament Folgen haben, die mich davon
zurückhalten. Weisheit und Vaterlandsliebe gebieten mir, zu weichen. Ich
überlasse denjenigen, die sie auf sich nehmen, die Verantwortlichkeit für ein
solches Vorgehen und für die Ereignisse, die ihm folgen können. Ich scheide
daher ohne Bedauern, aber nicht ohne Trauer aus dem Amte, zu welchem
ich zweimal erhoben worden bin, ohne mich darum beworben zu haben, und
in welchem ich mir bewußt bin, meine Pflicht gethan zu haben. Ich berufe
mich auf Frankreich; es wird sagen, daß neun Jahre hindurch meine Re-
gierung ihm den Frieden, die Ruhe und die Freiheit gesichert, daß sie ihm
Achtung verschafft hat in der Welt, daß sie unermüdlich an seiner Erhebung
earbeitet und es inmitten des bewaffneten Europas in den Stand gesetzt
bat, seine Ehre und seine Rechte zu verteidigen, daß sie endlich im Innern
die Republik auf den Wegen der Weisheit zu erhalten gewußt hat, welche
das Interesse und der Wille des Landes ihr vorschrieben; es wird sagen,
daß ich zur Vergeltung dafür noch einmal zu dem Amte erhoben worden
bin, zu dem sein Vertrauen mich berufen hatte. Indem ich aus dem poli-
tischen Leben scheide, habe ich nur noch einen Wunsch: daß die Republik
von den gegen mich gerichteten Schlägen nicht mitbetroffen werden und aus
den Eefahr, die man ihr bereitet, siegreich hervorgehen möge. Ich lege
meinen Abschied von dem Amte des Präsidenten der französischen Republik
auf den Tisch der Deputiertenkammer nieder.
Geg. den 1. Dezember 1887.
Der Präsident der französischen Republik,
Jules Grépy.“
Europ. Geschichtskalender. XXVIII. Bd. 23