Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 8.) 93
im Einklang mit dem Erlaß des Kaisers Wilhelm vom 4. Januar 1882,
bisher kein Übergreifen der Beamten über die ihnen darin gebotene Haltung
zugelassen habe. Dies sei in schriftlichen Darlegungen Puttkamers an den
Kaiser geschehen. Das Gesetz sei darauf publiziert worden. Der Kaiser
habe sich demnach überzeugt, daß bezüglich der Vergangenheit den Minister
des Innern betreffs der Wahlen kein Vorwurf treffe. Damit sei aber die
Puttkamer-Krisis erledigt. Wenn dennoch, wie behauptet wird, ein neuer
kaiserlicher Erlaß über die Wahlfreiheit in naher Aussicht stehe, so könne
derselbe sehr wohl vom Erlasse von 1882 abweichende Grundsätze aufstellen.
Das gesamte Staatsministerium werde eine solche a. h. Kundgebung
mit schuldiger Ehrerbietung und Gehorsam entgegennehmen und nur zu er-
wägen haben, ob, sofern es die darin befohlenen Maßregeln für bedenklich
hält, seine Verantwortung eine schwerere sei, wenn es dennoch den a. h.
Befehl ausführe oder wenn es um Enthebung bitte. Aus dem heutigen
Artikel der „Nordd. Allg. Zeitung“ will aber die „Kreuzzeitung"“ entnehmen,
daß Fürst Bismarck nicht für eine Abbröcklung des Ministeriums sei.
Am Tage darauf aber wissen die „National-Zeitung“ und
die „Börsen-Zeitung“ bereits mit Sicherheit zu melden, daß der
Minister des Innern, Herr v. Puttkamer, infolge eines neuerlichen
Schreibens des Kaisers, das er am 7. Juni erhalten, seine Demis-
sion gegeben habe.
Die „Kreuzzeitung“ meldet über die Vorgänge bei der Ent-
lassung Puttkamers:
Am 26. Mai habe Puttkamer dem Kaiser über das Gesetz der Ver-
längerung der Legislatur-Perioden Vortrag gehalten. Der Kaiser habe sich
damals seine Entschließung vorbehalten und am 27. abends — der Kanzler
war damals noch in Varzin — an Puttkamer das vollzogene Gesetz ohne
einschränkende Bedingung gesendet, aber ein Schreiben an Puttkamer hinzu-
gefügt, welches die Erwartung aussprach, daß in Zukunft die Wahlfreiheit
durch amtliche Beeinflussung nicht werde eingeschränkt werden. Die Publi-
kation hätte schon am 28. erfolgen können, unterblieb aber, weil der Minister
sich rechtfertigen wollte. Nach der „Kreuzzeitung“ wies der Minister in einem
ausführlichen Schreiben darauf hin, daß im Abgeordnetenhause von 866
Wahlen in den letzten zwei Perioden nur drei wegen amtlicher Beeinflussung,
im Reichstage während der letzten Periode nur eine aus diesem Grunde kassiert
wurde. In der Audienz des Kanzlers am 5. Juni schien die Sache so ge-
regelt, daß eine weitere Verfolgung der kaiserlichen Ausstellungen wegen
früherer Wahlen unterbleiben sollte, der Kaiser die Publikation des Gesetzes
genehmigte und sich einen weiteren Erlaß über die Haltung der Beamten bei
den Wahlen für später vorbehielt. Das Gesetz wurde demnach veröffentlicht.
Überraschenderweise erhielt aber Puttkamer bald darauf das kaiserliche Hand-
schreiben, welches die a. h. Unzufriedenheit mit gewissen früheren Vorgängen
bei den Wahlen wiederholt aussprach und den Minister veranlaßte, sofort
seine Entlassung zu erbitten.
Die „Freisinnige Zeitung“ feiert den Sturz Puttkamers in
einem Leitartikel, worin es heißt:
Die weitesten Kreise werden dem Kaiser Dank wissen, daß er Putt-
kamer so kurzer Hand beseitigte. Die Beseitigung Puttkamers wiege schwerer,
spreche deutlicher zu den Behörden, als der bestredigierte Erlaß für die
Wahlfreiheit. Puttkamers Sturz bedeute einen Bruch mit dem System,