Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni Ende — Juli Anf.) 105 
einer Allianz mit Frankreich zu bestimmen; es würden demnächst 
weitere Beweise der jetzt besonders guten Beziehungen beider Mächte 
zu allgemeiner Kenntnis gelangen. Eine weitere Bestätigung der 
deutsch-russischen Annäherung liegt darin, daß nun auch an leitenden 
Stellen die Begegnung Kaiser Wilhelms und des Zaren als sicher 
und nahe bevorstehend bezeichnet wird, wenngleich man über die 
Zeit und den Ort Zurückhaltung beobachtet. 
Ende Juni. (Wahlkartell.) Es wird bekannt, daß die 
nationalliberale Fraktion des Abgeordnetenhauses eine Sitzung ge— 
halten hat unter Teilnahme des (Herrenhausmitgliedes) Herrn 
Miquel. um über das Kartell zu beraten. Man sei jedoch zu dem 
Resultat gekommen, daß ein Grund zu einer Beschlußfassung nach 
irgend einer Richtung nicht vorliege. 
Ende Juni. (Das Ausland und Kaiser Wilhelm.) 
Der Umstand, daß Kaiser Wilhelms erster Erlaß der Armee und 
Marine gegolten, ruft im Auslande bei einzelnen Preßorganen 
Kriegsbefürchtungen hervor. Demgegenüber bemerkt die „Vossische 
Zeitung“: 
„Wenn Kaiser Friedrich bei seinem Regierungsantritte von einer be- 
sonderen persönlichen Kundgebung an das Heer und die Marine absah, so 
mochte man dies als Bestätigung der Anschauungen über den Charakter 
Friedrichs III. ansehen, wie man jene beiden Erlässe Kaiser Wilhelms II. 
jetzt als Bestätigung jener Voraussetzungen betrachtet, die an den Thron- 
wechsel geknüpft wurden. Soweit diese Voraussetzungen die stärker hervor- 
tretenden soldatischen Meinungen des neuen Herrschers und dessen Bestreben 
betreffen, der bewaffneten Macht unter den Stützen des Thrones die erste 
Stelle zuzuweisen, kann man ihnen folgen. Wo aber diese Grenzen über- 
schritten und aus dem Armee= und Marinebefehl des Kaisers Folgerungen 
gezogen werden, die eine grundsätzliche Bedeutung für die Regierungs-Politik 
im Innern und nach außen in ihnen suchen, werden die Tatsachen wohl 
bald vermittelnd und berichtigend eintreten.“ 
Anf. Juli. (Kaiser Wilhelm und die Freimaurer.) 
Der „Reichsbote“ nimmt Akt davon, daß in Nr. 26 des Freimaurer= 
organs „Bauhütte“ die Notiz enthalten ist, daß der Kaiser „ein 
unbesiegbares Vorurteil gegen die Freimaurerlogen“ habe. In allen 
christlichen Kreisen Deutschlands, so schreibt der „Reichsbote“, 
„wird diese Nachricht mit großer Genugtuung begrüßt werden. Das, 
was die „Bauhütte“ „unbesiegbares Vorurteil“ nennt, ist der Ausfluß eines 
gerechten und weitschauenden Urteils. Die Freimaurerei hat sich derart mit 
Atheismus, Judentum und lokaler Interessenwirtschaft verquickt, daß kein 
gläubiger Christ sich ihrem Gewissenszwange unterwerfen darf. Wozu ist 
diese ganz geheimnisvolle Spielerei und Vereinigung überhaupt nötig? Die 
Freimaurerei, so führt der „Reichsbote“" weiter aus, habe nur noch einen 
fiktiven Wert. Die Ersetzung des klaren Christentums durch abgewaschene 
Humanitätsideen, die Zerstörung desselben durch Beförderung des jüdischen
	        
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