Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli 31. — August 1.) 115
zeitung" glaubt ebenso wie die entgegengesetzte politische Richtung, stark genug
zu sein, um im zeitweiligen ausschließlichen Besitze der Klinke der Gesetz-
gebung der gesamten geistigen und materiellen Entwicklung des öffentlichen
Lebens ihren besonderen Parteistempel aufprägen zu können. Wäre jene
Kraftfülle in der Tat vorhanden, wäre es denkbar, daß auch bei uns zu
Lande wie in einer nun auch schon überwundenen Periode des englischen
Verfassungslebens die Parteien im Besitze und Genusse der Macht einander
ablösen, dann hätten ja jene Aspirationen eine gewisse Berechtigung, und
gelte es nur die Parole: konservativ oder liberal, würden wir ohne Zweifel
im Vereine mit der „Kreuzzeitung“ und ihren Freunden streben. Aber die
lebendig erhaltene Macht der Krone hat im preußischen Staatswesen die auch
nur vorübergehende Allmacht der Parteien endgültig aus der Reihe der Mög-
lichkeiten gestrichen, und wie die Krone für alle da ist, so kann auch sie in
ihrem Wirken für des Volkes Wohl eine wahre, allen gewaltsamen Erschüt-
terungen von vornherein vorbeugende Unterstützung nur in dem einträchtigen
Zusammenwirken aller Elemente finden, welche die geschichtlich gegebenen
Grundlagen unserer nationalen Entwickelung geschützt, gekräftigt und weiter
entwickelt sehen wollen. Wie wir aber bei solcher Anschauung auf den Ge-
danken verfallen könnten, politische Auseinandersetzungen nur zu dem Zwecke
anzuknüpfen, einen lebensfrischen, zu positiver Arbeit geneigten und bereiten
Faktor unseres Parteilebens zur toten politischen Masse zu machen, — eine
derartige Infinuation kann eben nur von einem politischen Winkel ausgehen,
in welchem man es längst verlernt hat, über den Parteikirchturm hinaus
nach den Zielen und Aufgaben des Staates selbst zu blicken."
In einem zweiten Artikel wendet sich die „Nordd. Allg. Ztg.“
im einzelnen nachdrücklich gegen die „Kreuzzeitung“". Derselbe schließt:
„In der „Kreuzzeitung“ kommt einerseits die denunziatorische, neue-
stens auch gegen die „Kons. Korr.“ gerichtete Tendenz, andererseits eine
Großsprecherei zum Ausdruck, die allerdings auch nicht ganz ohne humori-
stischen Beigeschmack ist. Tröstlich wirkt übrigens dabei die Erinnerung
daran, daß die Kampagnen der „Kreuzzeitung“ stets mit Rückzug und Be-
kehrung endeten.
Wir wollen nicht, wie es die freisinnigen Blätter so gerne tun, an
noch weiter zurückliegende Zeiten erinnern, können aber nicht übersehen, daß
aller Aufwand von Worten, Insinuationen und Perversitäten nicht gehindert
hat, daß die „Kreuzzeitung“" neben vielen kleineren Niederlagen seinerzeit in
der Krönungsfrage, mit dem Deklarantenputsch, und schließlich selbst in ihrem
letzten kleinen Schullastengesetz-Feldzuge stets den Kürzeren zog. Es wird
wohl noch öfter so kommen.“
31. Juli. (Rückkehr Kaiser Wilhelms von der Meer-
fahrt.) In Kiel angekommen, fährt der Kaiser alsbald zum Reichs-
kanzler nach Friedrichsruh, wo er einen Tag verweilt.
1. August. (Nouvelle Revue.) Die „Nouvelle Revue“,
(das Organ der deutschfeindlichen Madame Adam) veröffentlicht einen
angeblich aus den Papieren Kaiser Wilhelms l. stammenden ge-
heimen Bericht des Fürsten Bismarck an Kaiser Friedrich über
das Battenbergische Heiratsprojekt.
Die „Nordd. Allg. Ztg.“ erklärt den Aufsatz für eine Fälschung.
Er enthält auch fast keine nicht schon früher ausgesprochene Angabe.
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