Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierter Jahrgang. 1888. (29)

118 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (August 14.) 
Möge der Herr uns Ihre unschätzbare Kraft und Ratschläge auch in 
dieser Stelle noch lanze zum Heile unserer Nation erhalten. 
Eine diesbezügliche Ordre werde Ich Ihnen noch zugehen lassen. 
In treuester Dankbarkeit und Anhänglichkeit verbleibe Ich Ihr wohl- 
affektionierter König III. Wilhelm. 
Marmorpalais, den 10. August 1888. 
Sie legen Mir in Ihrem Schreiben vom 3. d. M. mit der Klarheit 
und Selbstlosigkeit, die leuchtend durch Ihr ganzes Leben geht, die Notwen- 
digkeit eines Entschlusses dar, dessen Begründung Ich ja leider nicht ver- 
kennen darf, dessen Bedeutung aber eine so schwerwiegende ist, daß Ich 
Ihrem Antrage doch nur teilweise entsprechen kann. In dem Alter, welches 
Gottes gnädige Fügung Sie zur höchsten Freude Meines teuren Großvaters, 
zum Segen für die Armee und zum Heile des Vaterlandes bisher hat er- 
reichen lassen, darf Ich die unvermeidlichen Anstrengungen des Dienstes Ihrer 
Stellung nicht mehr länger von Ihnen beanspruchen — aber Ich kann 
Ihren Rat nicht entbehren, so lange Sie leben, und Ich muß Sie der 
Armee erhalten, die mit dem unbegrenztesten Vertrauen auf Sie blicken wird, 
so lange Gottes Wille dies gestattet. Wenn Ich Sie daher, Ihrem Antrage 
entsprechend, von der Stellung als Chef des Generalstabes der Armee hiedurch 
entbinde, so geschieht es unter dem Ausdrucke des warmen Wunsches und in 
der Erwartung, daß Sie sich auch ferner mit den wichtigeren Angelegen- 
heiten des Generalstabes in Verbindung halten, und daß Sie Ihrem Nach- 
folger — den ich hienach angewiesen habe — gestatten werden, Ihren Rat 
in allen Fragen von Bedeutung zu erbitten. Bei Ihrer in so hohem Maße 
erhaltenen geistigen Frische wird es Ihnen auch möglich sein, hiemit die 
Stellung als Präses der Landesverteidigungs-Kommission zu vereinigen, 
welche Ich Ihnen hiedurch übertrage. Seit der Erkrankung Meines in Gott 
ruhenden Vaters fehlt den Geschäften der Landesverteidigungs-Kommission die 
Leitung ganz, und eine solche wird immer mehr so sehr wichtig, daß es Mir 
ganz besondere Beruhigung gewährt, sie in Ihre Hände legen zu können. 
In Betreff Ihrer künftigen Gehaltsverhältnisse habe Ich den Kriegsminister 
zur ferneren Zahlung Ihres bisherigen Gehaltes und ebenso auch dahin 
angewiesen, daß Ihnen Ihre bisherige Dienstwohnung verbleibt. Über Ihre 
Wünsche bezüglich Zuweisung eines persönlichen Adjutanten sehe Ich Ihrer 
ÄAußerung entgegen. So denke Ich ein Dienstverhältnis für Sie festgestellt 
zu haben, in dem Sie hoffentlich noch längere Zeit segensreich zu wirken 
im stande sein werden. Bestehen bleibt ja immer der tiefe Kummer, Sie 
von der Stelle scheiden zu sehen, auf welcher Sie Ihren Namen obenan auf 
die Ruhmestafeln der preußischen Armee geschrieben und ihn zu einem hoch- 
gefeierten in der ganzen Welt gemacht haben. Aber die Macht der Zeit ist 
stärker wie die der Menschen, und ihr müssen auch Sie sich beugen, der Sie 
sonst überall den Sieg in Ihrer Hand gehabt haben. Einen besonderen 
Dank für alles, was Sie als Chef des Generalstabes der Armee getan, in 
dieser Stunde in Worten auszudrücken — davon trete ich zurück. Ich kann 
nur auf die Geschichtsbücher der listen fünfund zwanzig Jahre weisen und 
kann mit vollster Überzeugung aussprechen, daß Sie als Chef des General- 
stabes der Armee in hochgeehrtestem Andenken stehen werden, so lange es 
einen deutschen Soldaten, ein deutsches schlagendes Herz und Soldaten- 
Empfindung in der Welt gibt. 
In hoher Wertschätzung und Dankbarkeit Ihr König 
Wilhelm R. 
An den General-Feldmarschall Grafen v. Moltke, Chef des General- 
stabes der Armee. 
 
	        
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