Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (August Mitte—22.) 119
Mitte August. (Französische Zivilisation.) Die „Nordd.
Allg. Ztg.“ kommt auf den Fall der in Belfort vom Pöbel schwer
verletzten deutschen Studenten zurück und bemerkt, daß denselben
es nicht einmal möglich sei, ihres klaren Rechtes ungeachtet, ihre
Ansprüche auf pekuniäre Entschädigung in Frankreich zur Geltung
zu bringen, da sich kein Advokat zur Führung ihrer Sache finden
wolle.
„Es ist hiermit konstatiert", fährt sie fort, „daß der Deutsche in Frank-
reich kein Recht findet und daß für Vergehen gegen Deutsche in Frankreich
keine Sühne zu erlangen ist. Neu ist diese Wahrnehmung allerdings nicht,
wir brauchen nur an die Zeit nach dem Kriege zu erinnern, wo, um bloß
einen Fall zu erwähnen, der Franzose, welcher einen sächsischen Soldaten in
der Nähe des Forts Rosny ermordet hatte, von dem Assisenhof des Seine-
Departements unter dem Applaus des Auditoriums freigesprochen wurde.
Die Sage, daß die Franzosen an der Spitze der Zivilisation mar-
schieren, findet in Frankreich natürlich noch Gläubige; dem Auslande beweisen
aber Vorgänge, wie die heutigen, daß in Frankreich sogar die Justiz, die
früher einen guten Ruf in Europa hatte, im Verfall begriffen ist, und daß
die Zustände in unserem westlichen Nachbarreich der Verwilderung ent-
gegengehen.“
16. August. (Verhältnis zu Dänemark.) Die „Nordd.
Allg.-Ztg.“ erwähnt der Äußerungen des „Nord“, daß nach ein-
stimmiger Meinung der dänischen Presse die Ausführung des Ar-
tikels 5 des Prager Friedens die unumstößliche Bedingung einer
wahrhaften Versöhnung zwischen Dänemark und Deuschland bleibe,
und daß die Reise des Kaisers die schleswig-holsteinsche Frage wieder
in den Vordergrund gedrängt und dem nationalen Zerwürfnisse
zwischen Deutschland und Dänemark neues Leben verliehen habe.
Die „Nordd. Allg. Ztg.“ bemerkt dazu:
„Diese Äußerungen haben nur eine Bedeutung, weil sie in einem
Blatte gemacht wurden, welches der russischen Regierung zur Verfügung steht
und mit dessen Leitung einer der höchsten Beamten des russischen auswär-
tigen Ministeriums beschäftigt ist. Deshalb haben wir diese Auslassungen
des „Nord“ tiefer gehängt; denn es ist daraus zu entnehmen, daß die hinter
dem „Nord“ stehenden russischen Politiker noch immer darauf ausgehen, uns
in Verbindung mit einem etwaigen französischen Kriege einen möglichst großen
Teil Schleswigs wieder abzunehmen.
18. August. Der „Reichsanzeiger“ veröffentlicht die Ernen-
nung des Staatsministers v. Bötticher zum Vize-Präsidenten des
Staatsministeriums.
22. August. (Crispi.) Der italienische Ministerpräsident
Crispi trifft in Friedrichsruh ein. Über den Besuch des italieni-
schen Premiers schreibt man der „Politischen Korrespondenz“:
„Der Besuch des Herrn Crispi in Friedrichsruh gibt zu allerhand
Vermutungen Anlaß, die eben nur Vermutungen sind und jeder tatsächlichen